Herr Roth, kaum ist Trump im Amt, scheint er schon alle Register zu ziehen. Was schließen Sie aus seinen ersten Amtshandlungen?
Dass er es ernst meint. Donald Trump straft all diejenigen ab, die auch hierzulande die Lage seit Monaten schönreden und uns erzählen, so schlimm werde es schon nicht kommen. Trump ist ein Feind der liberalen Demokratie und eine Bedrohung für Europa. Darauf müssen wir reagieren – nicht mit Empörung, sondern mit Taten.
Trump beschwört ein "Goldenes Zeitalter" für Amerika, das von niemandem mehr ausgenutzt werde: Was für ein Zeitalter bricht für Europa und Deutschland an?
Trumps "America First" bedeutet auch, dass Deutschland und Europa sicherheitspolitisch endlich erwachsen werden müssen. Leider scheint vielen immer noch nicht klar zu sein, dass unsere Sicherheit und Freiheit maßgeblich von den USA abhängen. Trotz klarer Ansagen aus Washington haben wir die vergangenen Jahre leider nicht ausreichend genutzt, uns wehrhafter gegen den russischen Imperialismus und dem weltweit zunehmenden Autokratismus aufzustellen. Das rächt sich jetzt.
Wie "Trump-fest" sind Europa und Deutschland aufgestellt?
Europa ist im Umgang mit Trump gespalten, dafür drohen wir einen hohen Preis zu zahlen. Es gibt zwei Möglichkeiten, Trump zu begegnen. Die erste: seinen Ring küssen, ihm in den Allerwertesten kriechen – so, wie es Nationalpopulisten wie Orbán oder die AfD tun. Das darf für uns aber keine Option sein.
Sondern?
Die zweite Option setzt Stärke und Selbstbewusstsein voraus, nicht Empörung und Besserwisserei. Europa muss selbst mehr Verantwortung übernehmen, mehr in seine Verteidigung, Sicherheit und Abschreckung investieren. Die EU muss beweisen, dass sie sich um Frieden und Sicherheit auf ihrem Kontinent selbst kümmert – und auch die Kosten für die Verteidigung der Ukraine überwiegend aus eigener Kasse zahlt. Nur so lässt sich Trump auf Augenhöhe begegnen, nur so lässt er mit sich über Strafzölle oder Sicherheitszusagen verhandeln.
Trump will ein "Friedensstifter" sein, ließ den Ukraine-Krieg in seiner Antrittsrede aber unerwähnt – weil er ihn für ein europäisches Problem hält?
Zurzeit laufen viele "Friedensstifter" durch die Gegend. Sie haben mich an ihrer Seite, wenn sie für einen gerechten Frieden eintreten, der nicht einseitig zulasten der Ukraine geht – alles andere wäre ein Scheinfrieden. Machen wir uns nichts vor: Trumps Fokus liegt nicht auf der Außenpolitik. Er will die USA von Grund auf verändern. Aber das wird auch massive Auswirkungen auf uns in Europa haben. Ganz falsch ist Trumps Argument ja nicht: Warum sollen die USA ein europäisches Land, tausende Kilometer entfernt, vor dem russischen Imperialismus retten?
Aber in Deutschland wird doch schon über die Finanzierung von drei zusätzlichen Milliarden Euro für die Ukraine gestritten …
Wir müssen uns daran gewöhnen, auf absehbare Zeit deutlich mehr in Sicherheit, Verteidigung und Abschreckung zu investieren. Ohne äußere Sicherheit ist alles nichts. Wir sprechen dabei von immensen Kosten, deren Finanzierung ich mir auf lange Sicht nicht ohne neue Schulden vorstellen kann.
Kanzler Scholz sagt, dass die drei Milliarden durch neue Kredite aufgebracht werden müssten. Sehen Sie das auch so?
Mir sagen Haushaltspolitiker, dass wir dieses Hilfspaket stemmen können – auch ohne zusätzliche Schulden. Leider geht jetzt in der hitzigen Stimmung im Wahlkampf nichts nach vorne. Täglich sterben Ukrainerinnen und Ukrainer durch russische Raketen und Drohnen. Darum müssen wir alles dafür tun, damit sich die Ukraine gegen diese Angriffe verteidigen kann.

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Trotzdem argumentieren Scholz und andere SPD-Politiker, dass es sonst zu Einsparungen bei der Rente oder Infrastruktur kommen würde.
Die Rente ist eine Garantieleistung, da kann und wird nicht gespart werden. Viel wichtiger ist doch, dass die Ukraine jetzt rasch das Drei-Milliarden-Paket bekommt, das Verteidigungsminister Boris Pistorius geschnürt hat. Alle Verantwortlichen sollten jetzt eine pragmatische Lösung finden. Das ist kein Streitthema für den Wahlkampf – das ist eine Notsituation.
Schon vor zehn Jahren haben Sie die Bedeutung des Schulterschlusses zwischen Frankreich, Polen und Deutschland vor allem in Krisenzeiten betont. Wie ist es um das Weimarer Dreieck bestellt?
Schlecht. Dabei brauchen wir gerade jetzt einen starken Stabilitätskern in Europa, der in grundlegenden außen- und sicherheitspolitischen Fragen an einem Strang zieht – um den USA auf Augenhöhe zu begegnen. Doch Frankreichs Präsident steht ohne eigene Mehrheit dar, in Deutschlands wird neu gewählt, in Polen wird der Ministerpräsident massiv von EU-Gegnern unter Druck gesetzt. Der notwendige Impuls bleibt leider auch in den nächsten Wochen vermutlich aus.
Das Dreieck sei von der Bundesregierung seit Jahren "sträflich vernachlässigt" worden, moniert der frühere Außenminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel. Einverstanden?
Bei drei Partnern die Schuld allein bei der Bundesregierung zu suchen, greift zu kurz. Jetzt wäre eigentlich die Stunde des Weimarer Dreiecks, Europa in die richtige Spur zu bringen. Leider wird das Format von allen Seiten nicht mit der nötigen Potenz ausgestattet. Wenn wir daran nichts ändern, wird das Tempo in Europa weiterhin von den unwilligsten und nationalistischen Kräften wie Ungarn oder der Slowakei bestimmt. Das wäre verheerend.
In wenigen Wochen sind Bundestagswahlen. Wohin sollte die erste Dienstreise des künftigen Kanzlers führen: Nach Washington oder Paris und Warschau?
Nach Paris und nach Warschau, das wäre mein unerbetener Ratschlag an den nächsten Bundeskanzler. Wir alle wissen, dass wir nur aus eigener Kraft heraus als Europäer dem Trumpismus etwas entgegensetzen werden können. Ein Kniefall vor Trump wird nicht helfen.