Nichts geht mehr. Die Bremer Innenstadt ist wie leer gefegt. Und das nachmittags um vier Uhr, wenn sonst die Rushhour einsetzt. Regen peitscht durch menschenleere Fußgängerzone, kaum ein Passant traut sich hier noch auf die Straße. Unten, an der Flaniermeile der Stadt, der Schlachte direkt an der Weser ruiniert Orkantief "Kyrill" schon die historische Bauten. Ein paar zersplitterte Mauerreste liegen auf dem Boden, Sandstein, verstreut. Aber niemand weit und breit, den es hätte treffen können. Vielleicht ist das auch eine Mentalitätsfrage, hier in Bremen.
„Und es soll noch viel schlimmer kommen.“
Der einsame Pommesbuden-Verkäufer nahe des altehrwürdigen Rathauses steht gelangweilt am Tresen. Keine Kundschaft, seit langem nicht mehr. Sonst kommen sie hier zu zweit kaum nach. Ein paar Meter liegt noch angekettet ein letztes, ein einsames Fahrrad allein auf weiter Flur, das Schutzblech demoliert. 40 Einsätze registriert die Polizei bis zum Abend, auch die Feuerwehr ist ständig im Einsatz. 40-Tonnen schwere Transporter kippen um. Bäume entwurzeln. Schilder knicken ab. Dachdecker halten sich bereit. Verletzte gab es in Niedersachsen und Bremen zunächst nicht. Und doch häuften sich am Abend die Schadensmeldungen.
Auf den Wetterkarten im Internet können sie es schon seit Stunden mitverfolgen, die Bremer. Ihre Stadt, melden die Agenturen, soll es besonders hart treffen. Dabei liegt die Hansestadt noch hinter der "Frontlinie", wie es Radio Bremen formuliert, hinter Bremerhaven also, gleich an der Küste, wo "Kyrill" zuerst aufs Festland trifft. An der Kaje herrscht am Abend Windstärke zehn, zwölf sollen es noch werden. Sturmflut. Die Wetterkarten sehen "schwarz", das steht für Windgeschwindigkeiten von 50 Knoten, von 93 Kilometer pro Stunde. In Böen ist die Geschwindigkeit noch höher. Bremen, ist abends noch sozialdemokratisch rot, dunkler werdend, die Farbe tendiert in Richtung Bordeaux.
Schüler haben sturmfrei
Die Arbeitsämter haben also ihren Dienst längst eingestellt, ihre Mitarbeiter nach Hause geschickt. "Nein", sagt eine Sprecherin, den Arbeitslosen drohe kein Ungemach, auch wenn sie zu einem Termin vorgeladen waren. Für einige Grundschüler gab es sturmfrei. Eltern werden aufgefordert, ihre Kinder so schnell wie möglich abzuholen. "Sie dürfen keinesfalls allein nach Hause", sagen die Erzieherinnen.
Touristen reisen mit Wohnmobil an den Deich
Auch viele Geschäfte schließen früher als üblich. Es kommt ohnehin kaum einer. Einige Stadtteilparlamente in Bremen sagen ihre abendlichen Sitzungen schon morgens ab, "wegen verschärfter Sturmwarnungen", wie es heißt. Am Abend treiben sich nur einige wenige Schaulustige durch die Straßen, manch ein Tourist ist gar mit dem Wohnmobil an den Deich gereist. Doch der Deich ist nicht gefährdet. Ohne ihn wären rund 85 Prozent Bremens zweimal täglich überflutet. Mit "großer Anteilnahme" hätten daher viele Weser-Anrainer "das unglückliche Schicksal der Stadt New Orleans" verfolgt, sagt der Bremer Deichhauptmann.

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Wer am Flughafen festsitzt, kommt nicht weg
Zahllose Flüge sind in Bremen gestrichen, selbst nach einem Taxi sucht man am Flughafen vergebens. Wer hier festsitzt, kommt auch so schnell nicht mehr weg. Der Bahnverkehr ist eingestellt. "Es fahren keine Züge mehr", sagte ein Sprecher der Bundespolizei. Selbst in Oldenburg gebe es so gut wie keine Züge mehr. Umgestürzte Bäume verhindern jeden Gleisverkehr zwischen Bremen und Hannover oder Osnabrück. Und an Schienenersatzverkehr ist nicht zu denken. Alle Fährverbindungen über die Weser fallen aus. Und doch: Die erwartete Sturmflut wird weiter schwächer ausfallen wie noch in der Früh erwartet.
Im bremischen Landtag, gegenüber des Rathauses, tagen sie denn auch tapfer, den ganzen Tag. Ein Untersuchungsausschuss. Die Abgeordneten müssen klären, wie es kommen konnte, dass ein vorbestrafter Manager aus der Privatwirtschaft die kommunalen Kliniken schröpfen, unkontrolliert in die eigene Tasche wirtschaften konnte. Alle reden vom Wetter. Sie nicht. Und auch die Fußballer von Werder Bremen trainieren heute ganz selbstverständlich weiter, meldet Trainer Thomas Schaaf. Auch das - eine Mentalitätsfrage.