Der Bundestag ist selbst nicht ganz unschuldig daran, dass die Erinnerung an den 17. Juni 1953 verblasst ist. Zwölf Mal hatte das Parlament das Datum ohne eine besondere Würdigung verstreichen lassen. Die Feierstunden zum Gedenken an den Volksaufstand in der DDR, wie sie über Jahrzehnte obligatorisch waren, wurden 1990 abgeschafft. Erst zum 50. Jahrestag wurde die Tradition am Dienstag wiederbelebt.
Bundespräsident Johannes Rau machte in seiner Rede vor dem Bundestag keinen Hehl aus den Versäumnissen der vergangenen Jahre. "Seien wir ehrlich: Vielen von uns war der 17. Juni - aus dem einen oder dem anderen Grund - irgendwie lästig geworden." Im Westen sei die umfassende Bedeutung des Aufstands über die Jahre aus dem Blick geraten. "Wir haben die Chance, die dieser Tag geboten hat, nicht genug genutzt."
"Große Wegmarke deutscher Freiheitsgeschichte"
Jetzt müsse es wieder darum gehen, das Erbe der Frauen und Männer des 17. Junis hoch zu halten. "Der mutige, der spontane und von Menschen aus allen Schichten des Volkes getragene Aufstand ist eine der großen Wegmarken deutscher und europäischer Freiheitsgeschichte", sagte Rau. Der Einsatz für Freiheit, Demokratie und Einheit sollte als dauerndes Vorbild gelten. Der 17. Juni sei "einer der stolzen Tage in der deutschen Geschichte".
Ähnlich äußerte sich Bundestagspräsident Wolfgang Thierse: "Wir müssen dem 17. Juni endlich den Platz in der deutschen Geschichte einräumen, der seiner Bedeutung angemessen ist", sagte der SPD-Politiker. "Dies wäre ein Gewinn für unsere politische Kultur, ein Gewinn für unsere Demokratie." Es gebe gute Gründe, sich der historischen Bedeutung des Volksaufstands neu zu vergewissern. "Nachdem wir nun über ein Jahrzehnt die Einheit gestalten, haben wir die Chance, dieses Datum endgültig als ein gesamtdeutsches Ereignis zu begreifen."
Insgesamt rund 650 Veranstaltungen zum 17. Juni
Die Redner im Bundestag knüpften an das an, was bereits in den vergangenen Wochen an Erinnerungsarbeit geleistet wurde. In insgesamt rund 650 Veranstaltungen wurde bundesweit an den Volksaufstand erinnert, an dem mehr als eine Million Menschen in rund 700 Städten und Gemeinden der DDR beteiligt waren. Rund 50 Publikationen und zehn neue Spiel- und Dokumentarfilme zeugen von dem wiedererwachten Interesse an der Revolte gegen das SED-Regime.
An mehreren Orten in Ost- und Westdeutschland wurden zum Jahrestag Straßen, Plätze und Gebäude nach Protagonisten des Aufstands benannt. So trägt das Gemeindezentrum im sachsen-anhaltinischen Sandersdorf nun den Namen des Bitterfelder Streikführers Paul Othma. In Berlin wurde ein Platz nach dem Gewerkschafter Max Fettling benannt, der als Beteiligter am Bauarbeiteraufstand in der Hauptstadt der DDR zu der Avantgarde der Aufständischen zählte.

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Rau fodert angemessene Würdigung
Rau forderte in seiner Rede noch weitere konkrete Maßnahmen, um die Volkserhebung angemessen zu würdigen. Noch immer gebe es Opfer des DDR-Regimes, die "nicht bekommen haben, worauf sie nach meinen Eindruck billigerweise einen Anspruch haben sollten". 50 Jahre nach dem Aufstand müssten alle Opfer von DDR-Unrecht Anerkennung erfahren: "Da ist manches hinter dem zurück geblieben, was wir uns unter Gerechtigkeit vorstellen - so schwierig das oft rechtlich zu regeln sein mag".
Allerdings wird der Erinnerungsboom auch seine Grenze haben. Die vereinzelt geäußerte Forderung, den 17. Juni anstelle des 3. Oktobers wieder zum Nationalfeiertag zu machen, hat wohl keine Aussicht auf Erfolg. Bundesratspräsident Wolfgang Böhmer machte deutlich, dass zu einem solchen Schritt auch kein Anlass bestehe. Schließlich sei am 3. Oktober 1990 - dem Tag der Wiedervereinigung - das vollendet worden, was am 17. Juni 1953 begonnen habe.