Grundrechte Deutschland verstößt laut Amnesty zum Teil gegen Versammlungsfreiheit

Kritik von Amnesty International: Ein Klimaaktivist der Gruppe Letzte Generation wird von Polizisten weggetragen
Polizei und andere Behörden seien teils unverhältnismäßig gegen Klimaaktivisten vorgegangen, kritisert Amnesty International
© Michael Kuenne / PRESSCOV via ZUMA Press Wire / Action Press
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat untersucht, wie es um das Versammlungsrecht in Europa steht. Kritik übt sie auch an Deutschland.

Ist das Vorgehen der Polizei gegen Protestierende in Deutschland immer verhältnismäßig? Amnesty International findet in einem aktuellen Bericht eine klare Antwort: Nein. Die Menschenrechtsorganisation wirft Regierungen in zahlreichen europäischen Staaten vor, die Versammlungsfreiheit einzuschränken und repressiv gegen abweichende Meinungen vorzugehen. 

Ihr Bericht zum Zustand des Rechts auf Protest in 21 europäischen Ländern, darunter Deutschland, zeige "ein Muster repressiver Gesetze, unverhältnismäßiger Gewaltanwendung, willkürlicher Festnahmen und strafrechtlicher Verfolgung sowie ungerechtfertigter oder diskriminierender Einschränkungen", teilte die Menschenrechtsorganisation mit. Dieses Muster erstrecke sich über den gesamten Kontinent.

Außerdem sei ein zunehmender Einsatz invasiver Überwachungstechnologien zu beobachten, der zu "Abschreckung und Einschüchterung und damit zu einer systematischen Einschränkung des Demonstrationsrechts" führe. Nach Ansicht der Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow, zeichnen die Recherchen "ein zutiefst beunruhigendes Bild eines europaweiten Angriffs auf die Versammlungsfreiheit".

Klimaaktivisten von Letzter Generation betroffen

Die NGO bemängelte auch einen Trend zur Diffamierung von Protesten sowie eine zunehmende Darstellung von friedlichem zivilem Ungehorsam als Bedrohung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. So hätten Behörden in Deutschland, Italien, Spanien und der Türkei Klimaaktivistinnen und -aktivisten als "Öko-Terroristen" oder "Kriminelle" bezeichnet. Zugleich hätten sie diese "auch mit Maßnahmen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität und unter Heranziehung terrorismusbezogener Gesetze ins Visier genommen".

Ein Beispiel ist der 24. Mai 2023. An diesem Tag durchsuchen 170 Polizeibeamte in sieben Ländern private Wohnungen und andere Objekte der Gruppe Letzte Generation. Der Verdacht: Mitglieder der umstrittenen Klimaaktivisten könnten eine kriminelle Vereinigung gebildet haben. Unter Federführung der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) und des Landeskriminalamts im Freistaat wird auch die Internetseite der Gruppe vorübergehend abgeschaltet. Dort prangt stattdessen kurzzeitig der Satz: "Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar."

Es ist ein Hinweis, den die Ermittler nach scharfer Kritik schnell wieder zurücknehmen. Stattdessen ist nur von einem Anfangsverdacht die Rede. Gut ein Jahr nach dem aufsehenerregenden Höhepunkt des Vorgehens der Behörden gegen die Klimaaktivisten beschäftigt diese Frage aber immer noch Ermittler von Flensburg bis München: Ist die Letzte Generation wirklich eine kriminelle Vereinigung? Alexander Dobrindt, Fraktionschef der CSU im Bundestag, legt sich fest: "Eindeutig", sagt er kurz nach der Razzia. Nein, befindet dagegen ein Gutachten im Auftrag der Berliner Senatsjustizverwaltung im Sommer 2023 – es spricht Ermittlern aber letztlich einen Beurteilungsspielraum zu. Die Extremismus-Ermittler bei der Generalstaatsanwaltschaft München sehen den Verdacht weiter gegeben.

Amnesty International kritisiert teils Polizeimaßnahmen

Julia Duchrow von Amnesty International kritisiert den Umgang mit den Klimaaktivisten und anderen Protestierenden in einer Mitteilung: "Protest darf und soll stören. Anstatt politisch unliebsame Proteste einzuschränken und diejenigen zu bestrafen, die auf die Straße gehen, müssen die Staaten in ganz Europa ihr Vorgehen überdenken. Sie sollten Proteste erleichtern und schützen, anstatt sie zu unterdrücken."

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Ebenso erfasst der Bericht im Zeitraum von 2020 bis September 2023 zahlreiche Beispiele für übermäßige oder unnötige Gewaltanwendung durch die Polizei – inklusive Vorfällen, die Folter gleichkamen. "Die Recherche ergab außerdem, dass es in mindestens 13 der 21 untersuchten Länder, darunter auch Deutschland, Fälle von Straflosigkeit oder mangelnder Rechenschaftspflicht der Polizei gibt", kritisierte Amnesty.

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Kritik übte Amnesty auch an Präventivmaßnahmen in Deutschland, Italien und dem Vereinigten Königreich. Diese ermöglichten es, "Personen von bestimmten Orten oder zukünftigen Aktivitäten auszuschließen – und in einigen Fällen sogar in Haft zu nehmen – um sie an der Teilnahme an Aktionen des zivilen Ungehorsams zu hindern".

Nicht nur Klimaktivisten sind betroffen. Europaweit schränkten Behörden zudem vor allem propalästinensische Proteste ein oder verböten sie ganz. Diese Maßnahmen sind aus Sicht der Menschenrechtsorganisation oft unverhältnismäßig.

DPA
mkb / Frederick Mersi

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