Das Szenario ist aus früheren Fällen vertraut: Zeitungen und Zeitschriften zitieren aus Akten des BND-Untersuchungsausschusses, die als geheim oder vertraulich eingestuft sind. Prompt ermittelt die Staatsanwaltschaft. Bislang standen nur Journalisten im Visier der Ermittlungsbehörden, doch jetzt trifft es auch Bundestagsabgeordneten. "Es wird in Richtung des jeweiligen Geheimnisträgers ermittelt", erklärte Oberstaatsanwältin Simone Herbeth am Freitag in Berlin auf AP-Anfrage. Dabei würden auch Abgeordnete in Betracht kommen.
Gegen 17 Journalisten ermittelt die Justiz zurzeit. Der Vorwurf: Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses. Die Journalisten hätten verbotenerweise aus geheimen Akten des BND-Untersuchungsausschusses des Bundestages zitiert. Aus diesem Grund hatte die Staatsanwaltschaft Hamburg bereits Anfang des Jahres gegen drei Journalisten des stern sowie einen Journalisten der "Fincancial Times Deutschland" ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Konkret ging es dabei um Artikel über den von der CIA verschleppten und später wieder freigelassenen Deutsch-Libanesen Khaled El Masri.
Lammert weist Verantwortung von sich
Bevor die Strafverfolgungsbehörden in so einem Fall überhaupt tätig werden kann, müssen sie dazu "ermächtigt" werden, wie es in § 353b des Strafgesetzbuches festgelegt ist. Diesmal war es Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der nach schriftlicher Bitte des Ausschussvorsitzenden Siegfried Kauder (CDU) die Ermächtigung erteilte. Die Fraktionen des Untersuchungsausschuss hatte dies mehrheitlich beschlossen. Allerdings, so betonte jetzt Lammerts Sprecher, sei es dann allein Sache der Staatsanwaltschaft, ob sie ein Ermittlungsverfahren einleitet oder nicht.
Vertreter von Medien, Justiz und Parteien haben mit massiver Kritik auf Lammerts und Kauders Vorgehen reagiert. Am Nachmittag veröffentlichten mehrerer Medien eine gemeinsame Erklärung."Mit aller Entschiedenheit" wendete sich auch der Vorstand der Bundespressekonferenz gegen die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Lammerts Anzeige kritisierte das Gremium als einen unzulässigen Eingriff in die Arbeit der Parlamentskorrespondenten. Die Pressestelle des Bundestages fühlte sich ob der harschen Kritik seitens der Bundespresskonferenz prompt im Erklärungszwang und reagierte mit einer Richtigstellung. So handele es sich bei dem Schreiben von Bundestagspräsident Lammert an die Generalstaatsanwaltschaft Berlin keinesfalls um eine "Anzeige", sondern um "eine Ermächtigung der Staatsanwaltschaft gemäß § 353 StGB".
Juristen kritisieren vorgehen
Selbst in den Reihen der Justiz sind die Ermittlungen umstritten. "Nach dem 'Cicero'- Urteil ist ein solches Verfahren Quatsch", sagte der Hamburger Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger der Deutschen Presse-Agentur. Die Hamburger Behörde hat von der Staatsanwaltschaft Berlin das Verfahren gegen Journalisten von "Stern", "Zeit" und "Spiegel" übernommen, da die Hansestadt deren Verlagssitz ist. Im Karlsruher "Cicero"-Urteil vom Februar hatte das Bundesverfassungsgericht die Durchsuchung der Zeitschriften-Redaktion "Cicero" für verfassungswidrig erklärt, weil sie lediglich dazu dienen sollte, eine "undichte Stelle" beim Bundeskriminalamt zu finden, aus dessen Akten das Blatt zitiert hatte.
Um undichte Stelle geht jetzt offenbar auch bei den Ermittlungen gegen die Bundestagsabgeordneten. Noch gebe es allerdings keinen Abgeordneten, gegen den sich ein Verdacht richte, sagte Oberstaatsanwältin Herbeth. Wenn einer "konkret benannt werden könnte", müsste für weitere Ermittlungen ohnehin zunächst die Aufhebung seiner Immunität beantragt werden.