Frau Reiche, der Weltklimarat hat seinen dritten Bericht vorgestellt. Darin spricht er konkrete Empfehlungen aus, wie man den Klimawandel bremsen kann. Der Rat empfiehlt auch, die Atomkraft voll auszunutzen, weil sie eben kein Kohlendioxid ausstößt. Muss diese Forderung in Deutschland zu einem Umdenken führen?
Auch die Kernkraft wird das Klimaproblem allein nicht lösen. Aber für Länder, die einen sehr hohen Kernkraftanteil bei der Stromproduktion haben, ist die Kernkraft auf absehbare Zeit nicht zu ersetzen. Wir müssen in Deutschland bis zum Jahr 2012 noch einmal 50 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen, über das hinaus, was bis jetzt im Nationalen Allokationsplan ohnehin gefordert ist, wenn wir aus der Kernenergie aussteigen. Dies ist nicht darstellbar, wenn wir uns an dem Gebot orientieren, dass die Energieversorgung klimafreundlich, aber auch wirtschaftlich und vor allem bezahlbar sein soll. Insofern kann ich mir für Deutschland, aber auch für andere Länder nicht vorstellen, dass wir komplett aus der Kernenergie aussteigen werden.
Zur Person
Die brandenburgische Abgeordnete Katherina Reiche, 33, ist seit 2005 stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Sie ist in dieser Funktion auch für die Themen Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zuständig.
Müssen SPD und vor allem Umweltminister Gabriel umdenken?
Die SPD muss sich die Zahlen ansehen und erklären, wie sie es bewerkstelligen will, zwei Dinge unter einen Hut zu bringen: Einerseits die rot-grüne Politik des Atomausstiegs weiter zu verfolgen und andererseits gleichzeitig die führende Rolle in der Klimaschutzpolitik in Europa und in der Welt einzunehmen. Das ist nicht vereinbar. Deshalb befindet sich die SPD in Erklärungsnot. Ich setze darauf, dass auch bei unserem Koalitionspartner die Vernunft einsetzen wird.
Erhöht der Bericht des Klimarats den Druck auf die SPD, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern?
Der Klimabericht besagt mehrere Dinge: Erstens, wir müssen rasch handeln. Zweitens, jetziges Handeln kostet weniger als die spätere Beseitigung der Folgen des Nichthandelns. Der Bericht besagt, dass es ohne regenerative Energien nicht geht, aber dass die Kernkraft ein wesentlicher Bestandteil klimafreundlicher Energieerzeugung ist. Deshalb können wir auf sie nicht verzichten. Der Bericht des Weltklimarates erhöht deshalb auch den Druck auf die SPD, ihre Position zur Nutzung der Kernkraft zu ändern.
Umweltminister Gabriel behauptet, er könne den Energiebedarf über eine Erhöhung des Anteils der regenerativen Energien abdecken, ohne die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern. Halten Sie das für möglich?
Langfristig betrachtet, bis 2020 und darüber hinaus, haben die erneuerbaren Energien ein unglaubliches Potenzial. Ich bin davon überzeugt, dass wir schon in den nächsten Jahren erhebliche Technologieschübe verzeichnen werden. Wir reden aber auch über die nächsten vier Jahre: Bis zum Jahr 2012 sollen laut Plan sieben Kernkraftwerke abgeschaltet werden, aber gleichzeitig ist der Allokationsplan zu erfüllen. Die Klimaforscher sagen uns nun, dass wir bis zum Jahr 2015 Zeit haben, Entscheidungen zu fällen. Die Zeit zwischen 2012 und 2015 ist knapp. Ich sehe nicht, wie wirtschaftlich Energie erzeugt werden soll, es sei denn, man möchte die Strategie der SPD weiter verfolgen, auf russisches Gas zu setzen. Das halte ich nicht für das Gebot der Stunde. Es widerspricht der Klugheit, von einer Abhängigkeit in die nächste zu marschieren. Wir sollten unsere Energieversorgung so breit wie möglich aufstellen.
Der Weltklimarat fordert drastische Einsparungen bei den Kohlendioxid-Emissionen. Muss sich die KfZ-Steuer nicht endlich am Kohlendioxid-Ausstoß orientieren?
Jedes Ressort muss seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Ein noch so ehrgeiziger Umweltminister wird nicht ausreichen, um in Deutschland eine Trendwende hin zu einem geringeren CO2-Ausstoß zu schaffen. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass die Umstellung von einer Kfz-Steuer auf eine CO2-Steuer erfolgen soll. Allerdings vermisse ich bislang noch ein Konzept von Verkehrsminister Tiefensee. Das hat er zwar bislang immer publikumswirksam in Zeitungen angekündigt, vor allem in Sonntagszeitungen. Nur präsentierte er dann am Montag und Dienstag keine Konzepte. Ich hoffe, dass er sich bald mit klaren Vorstellungen an das Parlament und den Koalitionspartner wendet, wie er die Umstellung vornehmen will. Auch die Länder, denen die Kfz-Steuer bislang zufließt, werden sehr daran interessiert sein, wie sich Tiefensee die künftige Steuerverteilung vorstellt. Für das Projekt als solches habe ich große Sympathie. Auf EU-Ebene wurde ein Ausstoßlimit von 120 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer im Flottendurchschnitt beschlossen, maximal 130 Gramm. An diesem Wert sollten auch wir uns orientieren.
Muss es neben der Steuer nicht auch endlich ein Tempolimit auf den Autobahnen geben?
Ich glaube, dass ein Tempolimit wenig bringt. Die Bereitschaft der Menschen, etwas für den Klimaschutz zu tun, ist mit 98 Prozent sehr groß. Da führen Verbote eher zu Frust. Die verschiedenen Vorschläge, die gemacht wurden - Tempolimit, Sonntagsfahrverbot Glühbirnenverbot - haben in erster Linie einen gängelnden Charakter. Sie laden die Leute nicht ein, sich aktiv am Klimaschutz zu beteiligen.