Können, sollen, dürfen die Deutschen der dunklen Seite ihrer Geschichte eine helle hinzufügen? Die Frage, abstrakt gestellt, mutet geradezu absurd an. Die deutsche Nachkriegsgeschichte war nichts anderes als der Versuch, der dunklen NS-Zeit eine helle Ära anzufügen. Kann, soll, darf der Millionenerbe Friedrich Christian ("Mick") Flick der dunklen Seite seiner Familiengeschichte durch eine spektakuläre Ausstellung moderner Kunst in Berlin eine helle hinzufügen? Selbstverständlich, sollte die Antwort lauten, sofern die Ausstellung nicht der historischen Weißwäscherei dient.
Licht und Schatten
Das soll, darf und kann sie auch gar nicht. Denn der Name Flick, fügt man den Vornamen Friedrich hinzu, steht für ein Rüstungsimperium, das den Krieg der Nazis erst möglich machte und 40.000 Zwangsarbeiter ausbeutete. Und der Name Flick, ergänzt um den Vornamen Friedrich Karl, bezeichnet den größten politischen Korruptionsskandal der Nachkriegsgeschichte. Das bleibt, untilgbar.
Der Name Flick, liest man den Vornamen Friedrich Christian mit - Enkel des Ersten und Neffe des Zweiten -, aber steht für Freiheit von Schuld wie schmerzlich erlernte historische Verantwortung. Der Vorname markiert die Trennlinie des individuellen Schicksals von der Familiengeschichte, das Erbe - runde 100 Millionen Mark - bildet die Brücke zwischen beiden.
Um diese Brücke wird seit vier Jahren erbittert gekämpft. Es ist ein symbolischer Kampf um die Frage, ob und wie diese Brücke in die Zukunft verlängert werden kann. Ob und wie die Gegenwart in die Vergangenheit zu zwingen ist oder sich von ihr zu emanzipieren vermag - und wer die Macht hat, dafür die Bedingungen zu setzen, fast 60 Jahre nach Hitlers Ende.
Der Name Friedrich Christian Flick wurde zur Projektionsfläche, grell beleuchtet von den deutschen Neurosen und Affekten. Der Mann war in der denkbar schlechtesten Lage. Flick, der Playboy früher Jahre. Flick, der Steuerflüchtling in die Schweiz. Flick, der Spekulant, der seine private Sammlung in ein öffentliches Museum bringe, weil das ihren Wert mehre - was den SPD-Abgeordneten Binding umgehend nach Strafsteuern rufen ließ.
Flicks Stiftung gegen Rassismus und Intoleranz ist kein PR-Trick
Den so Geschwächten traf die Kampagne ums historische Erbe mit voller Wucht - in die Ehre. Hatten deutsche Künstler schon 2001 die FlickCollection in der Schweiz verhindert, so verschärfte Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, den Ton vor der Berliner Ausstellung zu dem Vorwurf, die Kunst stamme "mittelbar aus jenen Quellen, aus denen ursprünglich das Blutgeld Ihres Großvaters sprudelte". Achtmal variierte Korn, sonst ein vorbildlich besonnener Mann, in einem offenen Brief "Blut", "Blutgeld" und "Farbe des Blutes". Eine bizarre Überdrehung, denn "Blutgeld" wäre dann bis heute alles, was deutsche Firmen generieren, die einst den Nazis dienten und mit ihnen verdienten. "Blutgeld" wären auch die Steuern, die Spenden und die Löhne, die der Flick-Konzern zahlte.

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Korns Attacke illustriert zweierlei: die Furcht vor einer deutschen Normalisierung, die Gerhard Schröder jüngst in die Worte kleidete, die Nachkriegszeit sei zu Ende. Und die internen Turbulenzen des Zentralrates, der mit Michel Friedman seine lauteste Stimme verloren hat und sich selbst wie das Leben der Juden in Deutschland nicht mehr nur über den Holocaust zu definieren vermag. Nachgeborene, Zuwanderer aus Russland und liberale jüdische Gemeinden, die den orthodoxen das religiöse Monopol streitig machen, rufen auch nach jüdischer Normalisierung. Der Versuch, den Streit zu übertönen, ist gescheitert. Eine fruchtbare Niederlage.
"Die härtesten vier Jahre"
Flick hat sich geweigert, in den Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter einzuzahlen. Weil die Flick-Firmen das getan hätten und weil er die Wirtschaft insgesamt nicht habe entlasten wollen. Er hat stattdessen in Potsdam mit zehn Millionen Mark eine Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz gegründet. Ihm das als PR-Trick zu verübeln ist ungerecht. Er habe "die härtesten vier Jahre" seines Lebens hinter sich, sagt er. Die Debatte hat ihn politischer gemacht, nachdenklicher.
Ziehen am Sonntag NPD und DVU in die Landtage von Sachsen und Brandenburg ein, wird man seine Stiftung mit anderen Augen sehen. Zwei Tage später, Flick wird 60, eröffnet der Kanzler die Berliner Ausstellung: In sieben Jahren werden 2000 Werke von 150 Künstlern gezeigt. Flick hat die Halle für 7,5 Millionen Euro renovieren lassen. Der Kanzler betritt sie als Erster. Ein mutiges Signal.