Ausgezeichnete Retter Die Helden von der Rütli-Schule

  • von Hans Peter Schütz
Der Täter hatte ein Messer. Und ein Elektroschockgerät. Mit beidem fiel er über die TV-Moderatorin her. Doch plötzlich waren die Retter da: Drei Jungs von der skandalumwitterten Berliner Rütli-Schule: Helden, die so gar nicht dem Klischee entsprechen.

Staatsministerin Maria Böhmer steht im zweiten Stock des Kanzleramts und sagt: "Hier ist vorbildlich gehandelt worden. Und Deutschland braucht solche Vorbilder." Später gesteht sie stern.de, dass sie in diesem Augenblick bis an ihre Seele gerührt war. Das ist nicht wenig für eine Professorin für Pädagogik. "Diese drei Jungs haben mich sehr bewegt. Da muss man einfach Danke sagen."

Helden aus den Problembezirken Berlins

Das Berliner Kanzleramt hat schon viele Gäste gesehen. Aber vermutlich keine wie diese drei Schüler, die mit ihren Eltern vor Jahren aus dem Libanon als palästinensische Flüchtlinge nach Berlin eingewandert sind und heute an die skandalumwitterte Rütli-Schule in Berlin-Neukölln gehen. Mohamed, 16, Walid, 17, und Khalid, 17. Bluejeans, Turnschuhe und Pullis, rot und geringelt. Halber Irokesenschnitt alle drei. Sie sehen aus, wie viele in den Berliner Problembezirken, denen man gerne Platz macht auf dem Gehsteig. Die Jungs machen ebenso verlegene wie ernste Gesichter, während die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung ihr Loblied auf sie singt. Links und rechts sind die Eltern aufgereiht, die Mütter festlich herausgeputzt. Mit Kopftuch und voller Stolz auf ihre Jungs.

Kampf mit einem Vergewaltiger

Rückblende. Vom Oberdeck eines fahrenden Busses aus beobachten die drei jungen, arabischstämmigen Jugendlichen Mohamed, Khalid und Walid auf der Fahrt zum Kurfürstendamm, wie die Fernseh-Moderatorin Simone von Stosch am Reichpietschufer im Bezirk Tiergarten von einem Mann misshandelt wird. Die Frau liegt am Boden und wird mit einem Elektroschockgerät drangsaliert. In der anderen Hand hält der Täter ein Messer. Beim nächsten Halt springen die drei Jugendlichen aus dem Bus und rasen zurück zum Ort des Überfalls. Der Mann geht mit dem Messer auf die Jungs los. Sie schlagen ihm das Messer aus der Hand.

Der bis heute unbekannte Täter flüchtet. Simone von Stosch leidet immer noch an den Folgen des Überfalls. "Wir danken,"lobt Maria Böhmer, "für etwas, was leider nicht selbstverständlich ist, für spontane Zivilcourage." Die jungen Männer halten sich während des Loblieds ganz heftig an einem Bildband über Berlin fest, den ihnen Kanzlerin Angela Merkel geschenkt und eine Widmung hinein geschrieben hat. Schwer tun sie sich dann, als sie ihre mutige Tat mit eigenen Worten schildern sollen. Mohamed erinnert sich, wie sie am Tatort ankamen. "Da hat er ein Messer gezogen. Das haben wir weg getreten." Khalid hat sich gewichtige Worte zurecht gelegt: "Es war selbstverständlich, dass wir einem Menschen in Not helfen, egal welcher Hautfarbe und welcher Religion." Fühlt er sich jetzt als Held? Ein bisschen Röte steigt ihm ins Gesicht, diese Frage aus dem Pulk der Journalisten hat er nicht erwartet. Dann antwortet er mit unfreiwilliger Ironie: In einer solchen Situation "denkt man nicht daran, ein Held zu sein."

Die drei haben einer Frau in Not geholfen, "wie wenn es die Schwester oder die Mutter gewesen wäre." Die drei kommen von der Rütli-Hauptschule, die vor nicht allzu langer Zeit bundesweit Schlagzeilen machte. Im März 2006 appellierten die Lehrer in einem Brandbrief an den Berliner Senat, die Hauptschule aufzulösen und in eine andere Schulform zu überführen, weil sie der Gewalt durch Schüler nicht mehr standhalten könnten. Der Vorgang führte zu einer hitzigen Debatte über das deutsche Schulsystem und der mangelhaften Integration von Immigrantenkindern. Der Schock war heilsam. Schulleiter Alexander Dzembritzki, der seine Schüler ins Kanzleramt begleitet hatte, berichtete stolz, dass die Rütli-Schule längst nicht mehr für Chaos und Gewalt stehe. "Wir haben hart daran gearbeitet, die Stigmatisierung los zu werden." Hinter ihm standen, die Arme auf den Schultern ihrer Mütter, die drei Schüler, die der Rütli-Schule auf diesem Weg sehr geholfen haben.