Wahre Revolutionen spielen sich mitunter im Schatten großer Ereignisse ab. Als am 27. Oktober der 17. Deutsche Bundestag erstmals zusammentritt, ist es für viele Abgeordnete ein besonderer Tag. Guido Westerwelle etwa darf endlich mitregieren. Das umwälzende Ereignis dieses Tages spielt sich aber auf einer der hinteren Bänke des Berliner Reichstags ab.
Ein leises Glucksen ist dort zu hören. Gerade hat die erstmals ins Parlament eingezogene FDP-Abgeordnete Judith Skudelny Platz genommen. An der Brust ihre vier Monate alte Tochter. Das gab es noch nie, das Hohe Haus ist eigentlich babyfreie Zone. Selbst die Grünen, bekannt für unkonventionell-progressives Verhalten, hatten sich bisher nicht mit ihrer Brut reingetraut.
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...in der aktuellen Financial Times Deutschland
Die Saaldiener verweigerten der 34-jährigen Skudelny zwar zunächst den Zutritt. Doch dann tauchte Guido Westerwelle auf, der Mann, unter dessen Führung für die Liberalen beinahe alles möglich scheint - ein Wahlergebnis von fast 15 Prozent, das Entwicklungshilfeministerium für Dirk Niebel und nun auch der Einlass für das erste Parlamentsbaby. Seither sorgen grüne und gelbe Zwerge für Wirbel im Parlament. Zum Entsetzen der Saaldiener tragen immer mehr stolze Mütter und Väter ihre Säuglinge in den Plenarsaal.
"Babys machen einfach schöne Stimmung"
In der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags findet der Umgang mit dem Nachwuchs keine Erwähnung, der Fall ist schlicht nicht vorgesehen. Vom Stillen und Wickeln ganz zu schweigen. Schon grummeln die ersten Herren und auch manche Dame. Was bei Parteitagen der Grünen ja angehen mag, dürfe doch wohl nicht zur Gewohnheit in dem Hohen Hause werden. Man stelle sich bloß das Gequake und Gebrabbel vor.
Das gibt es in Parlamenten zwar auch ohne Kinder zur Genüge. Doch muss jeder Zwischenruf protokollarisch fein säuberlich erfasst werden. Also schritt Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckhardt ein: Die Grünen-Abgeordnete schrieb jüngst alle Abgeordneten mit Kindern unter einem Jahr an und lud vergangene Woche zum "Babygipfel". Dieser beratschlagte mit den betroffenen Müttern und Vätern, acht an der Zahl, was zu tun sei.
Das Ergebnis: In Notsituationen dürfen die Eltern die Babys mitbringen. "Wir haben die Babyfrage im Präsidium ganz pragmatisch beschlossen, ohne Änderung der Geschäftsordnung. Es geht uns nicht um eine proklamatorische, sondern ganz praktische Unterstützung der Mütter und Väter", sagte Göring-Eckhardt. Im Präsidium waren sich alle einig, auch der Ältestenrat nickte jetzt die Regeln für die Jüngsten ab. "Ich hätte mit Gegenstimmen gerechnet, aber alle haben total gelassen und freundlich reagiert." Babys, so erklärt sich die Vizepräsidentin den Sinneswandel, "machen einfach schöne Stimmung".