Berliner Krankenhaus-Demo Bratwürste und Sparpläne

  • von Tiemo Rink
130.000 Menschen protestierten in Berlin gegen den Sparkurs an den Kliniken. Es war die größte Gesundheits-Demonstration - und Volksfest. Mancher hockte sich mit Bratwurst gleich in den Tiergarten.

Die alte Frau im roten Mantel guckt fassungslos, schnappt nach Luft. Missmutig beäugt sie die Menschenmassen am Berliner Alexanderplatz und fuchtelt drohend mit ihrem Regenschirm. Dann platzt es raus. Zu ihrem Begleiter gewandt, schreit sie: "Dass die hier schon ihre Trillerpfeifen benutzen, ist doch wirklich das Allerletzte!" Er guckt sie verständnislos an und legt die Hände hinter die Ohren. "Was sagst du?", ruft er zurück. "Red doch mal lauter, man versteht ja gar nichts."

Kurz vor zwölf, Berlin Alexanderplatz - es ist aberwitzig laut. Rund 15.000 Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern haben sich hier versammelt, um gegen die Finanzlage an Krankenhäusern zu demonstrieren. Wenig später werden sie losziehen zur Großkundgebung am wenige Kilometer entfernten Brandenburger Tor. In insgesamt drei Sternmärschen machen die aus dem ganzen Land zusammengetrommelten Krankenhausbeschäftigten ihrem Ärger Luft. Später am Brandenburger Tor, in Hörweite von Parlament und Kanzleramt, sind um die 130.000 Demonstranten versammelt - die größte Demonstration von Klinikmitarbeitern in der Geschichte der Bundesrepublik.

Ude und Bsirske heizen ein

"Politik spart die Kliniken krank" steht auf einem Transparent - und genau diesen Slogan variieren auch die Redner bei der Kundgebung. Zum Beispiel Christian Ude, Präsident des Deutschen Städtetages: "Ich staune jeden Tag, wie viel Geld angeblich für kranke Banken da ist. Ein Bruchteil davon würde den Krankenhäusern doch schon reichen." Verdi-Chef Frank Bsirske poltert: "Wenn Krankenhäuser nicht mehr genug Geld haben, um wenigstens Tariflöhne zu zahlen, dann stimmt etwas nicht mit der Krankenhausfinanzierung." So etwas kommt gut an - Trillerpfeifen im Dauerbetrieb. Auch Rudolf Kösters, Präsident der deutschen Krankenhausgesellschaft, weiß, wie man die Demonstranten begeistert: "Wer weiter von Rationalisierungen träumt, verkennt, dass es hier um kranke Menschen geht, und nicht um Industriebetriebe."

Nach Ansicht der Veranstalter drohen mehr als die Hälfte der Kliniken in die roten Zahlen zu rutschen. Zehntausende Stellen seien gefährdet, schon heute könne man die Patienten nicht mehr angemessen versorgen. Im Frühjahr haben die Klinikärzte Lohnsteigerungen von durchschnittlich vier Prozent für das laufende Jahr erstreikt, Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) will das Geld über höhere Krankenkassenbeiträge wieder eintreiben. Rudolf Henke, Vorsitzender des Marburger Bundes, drängt jedoch darauf, dass zur Refinanzierung der Etat der Krankenhäuser erhöht wird.

Bratwurst-Politik

Doch es geht bei dieser Demo offenbar nicht nur um harte Zahlen und trockene Daten. Im Laufe des Tages macht sich Volksfeststimmung breit. Es gibt Bier, Würstchen, Brezeln, gebrannte Mandeln und vieles mehr. Ein Rudel Weißgekleideter zieht es mit Bratwurst und Bier ausgestattet in den angrenzenden Tiergarten. Selbst ihre Trillerpfeifen haben nun Pause, vorläufig.

Auf der Bühne beharken mittlerweile die "Toten Ärzte", laut eigener Website die "ultimative Hosen und Ärzte Cover Band", ihre Instrumente. Sänger Branco, der in Kleidung und Gestus dem Düsseldorfer Punk-Darsteller Campino nacheifert, ist offensichtlich nicht ganz bei der Sache. "Es ist wunderschön, heute Abend hier bei euch zu sein", wanzt er sich an die Demonstranten ran. "Hat der mal auf die Uhr geschaut?" sagt eine junge Frau zu ihrer Kollegin. Es ist exakt 13 Uhr.

Schlechte Laune hat jedenfalls kaum einer. "Klasse, dass wir so viele sind" sagt ein Diakonie-Angestellter im Gespräch mit stern.de und schunkelt im Takt der Musik. Ein bisschen mehr Wut würde ihm nicht schlecht stehen.