Bundestagsabgeordnete Lührmann "Das heizt die Politikverdrossenheit an"

Offenbar erwägt die SPD-Bundestagsfraktionsführung, die geplante Diätenerhöhung zu kippen. Im stern.de-Interview erklärt die Grünen-Parlamentarierin Anna Lührmann, weshalb sie eine Erhöhung für falsch hält - und was sich bei den Pensionen ändern muss.

Sie sind 2002 als jüngste Abgeordnete aller Zeiten in den Bundestag gekommen, jetzt verlassen Sie ihn 2009 wieder, noch immer die Jüngste im Parlament. Haben Sie denn keinen Bock mehr auf Politik?

Schon 2002 habe ich gesagt, dass ich dem Bundestag höchstens für zwei Legislaturperioden angehören möchte. Denn ich will nicht abhängig von meiner Partei werden und irgendwann darum betteln müssen, wieder aufgestellt zu werden. Außerdem interessiere ich mich auch noch für Lebensbereiche jenseits der Politik. Unvorstellbar für mich ist, dass ich jetzt den Rest meines Lebens im Bundestag sitzen würde. Aber ich hoffe, dass immer mehr junge Menschen sich einen Platz im Bundestag erobern können.

Sie haben früher einmal gesagt, am Bundestag habe Sie vor allem genervt, dass dort fast nur ältere Herren in dunkeln Anzügen sitzen. Das wäre doch allein schon ein Grund, als Abgeordnete weiter zu machen.

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, weshalb ich weiter machen könnte. Die Arbeit im Haushaltsausschuss macht mir Spaß, ich habe sehr nette Kollegen und zu grünen Regierungszeiten einiges erreicht. Jetzt möchte ich einmal andere Lebenserfahrungen sammeln. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, eines Tages wieder in die Politik zurück zu kommen.

Wo stehen Sie als jüngste Abgeordnete in der zurzeit umstrittenen Frage, ob die Diäten der Abgeordneten noch einmal erhöht werden und im Jahr 2010 dann 8159 Euro betragen sollen? Unterm Strich bedeutet das eine Gesamterhöhung um 15 Prozent?

Ich lehne diese Erhöhung entschieden ab. Schon gegen die vorangegangene Anhebung habe ich voriges Jahr gestimmt. Viele Wähler drehen seit Jahren bei ihrem Nettoeinkommen Null-Runden, da können Abgeordnete sich nicht derart das Gehalt erhöhen. Das ist nicht verhältnismäßig. Die bisherige Diätenhöhe war angemessen. Der Vorschlag der Koalition heizt nur die Politikverdrossenheit an.

Haben Sie der außergewöhnlichen Erhöhung der Renten um 1,1 Prozent zugestimmt, die von der Großen Koalition vor kurzem außerhalb der Reihe beschlossen worden ist?

Da habe ich dagegen gestimmt. Man muss in der Rentenpolitik verlässlich sein und kann nicht mal eben schnell Ausnahmen beschließen, um Wähler zu ködern. Die 1,1-Prozent-Erhöhung nutzt außerdem vor allem denen, die ohnehin bereits hohe Renten beziehen. Den Kleinrentnern, die jetzt schon zu wenig haben, nutzt sie fast nichts. Vernünftiger wäre es gewesen, die Altersgrundsicherung von 345 auf 420 Euro zu erhöhen, wie wir Grüne es vorgeschlagen haben.

Sollte nicht endlich vom Bundestag die Frage der Abgeordnetenpension neu geregelt werden, mit der die Parlamentarier bislang bedacht werden, ohne dass sie einen einzigen Euro dafür zahlen? Und zwar in dem Sinne, dass künftig für die Pensionen von den Abgeordneten selbst Beiträge zu zahlen sind wie von uns Bürgern.

Seit ich im Bundestag sitze, bin ich trotz der damit verbundenen Kritik von Kollegen stets dafür eingetreten, dass die Politikerpensionen unbedingt reformiert werden müssen. Seit Jahren habe ich in der grünen Fraktion dafür gekämpft und 2007 haben die Grünen dann auch den Antrag eingebracht, dass die Abgeordneten aus eigener Kasse endlich selbst in ein Versorgungswerk einzahlen sollen. Die anderen Parteien haben uns leider abgeschmettert.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Sie selbst haben vom bisherigen System ja satt profitiert. Schon heute, nach sieben Jahren im Bundestag, steht fest, dass Sie mit 67 Anspruch eine Pension von - nach heutigen Maßstäben - rund 1500 Euro bekommen. Das ist mehr als ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in einem ganzen Arbeitsleben verdienen kann. Ist das nicht absurd?

Das ist natürlich unverhältnismäßig viel. Mein Fall macht ganz besonders klar, dass unsere Pensionen absurd hoch sind und das derzeitige System den Wählern nicht erklärbar ist. Aber die anderen Fraktionen halten eisern an diesem unsinnigen System fest.

Wenn Sie auf die Grünen blicken, sind die denn noch die Partei für junge Menschen? Das Durchschnittsalter der grünen Fraktion im Bundestag beträgt auch fast schon 50 Jahre.

Wir sind dennoch die jüngste Fraktion im Bundestag. Zu Beginn der Großen Koalition waren wir 13 grüne Abgeordnete unter 40, das ist klarer Rekord. Und wir Grüne sind unverändert der erste politische Ansprechpartner für junge Menschen.

Wer soll die Grünen in den Bundestagswahlkampf führen?

Renate Künast ist meine Favoritin. Ihr Bündnis mit Jürgen Trittin ist die beste Lösung. Beide haben gute Arbeit als grüne Bundesminister geleistet, sind bundesweit bekannt und ergänzen sich sehr gut.

Was machen Sie denn jetzt in Zukunft, außer dass Sie natürlich ab nächsten Monat zunächst Mutter sind?

Politisch engagiere ich mich die nächsten anderthalb Jahre bis zur Neuwahl vor allem in zwei Fragen: Was kann man gegen die wachsende Kinderarmut tun? Wie kann der Klimawandel besser bekämpft werden? Beim Thema Klimaschutz hat sich zum Beispiel Kanzlerin Angela Merkel bisher fast nur verbal engagiert, umgesetzt hat sie fast nichts.

Was sollte gegen die Kinderarmut geschehen?

Wir müssen dafür sorgen, dass auch Kinder aus sozial schwachen Familien nicht von vorne herein ausgeschlossen werden. Dazu müssen die Grundschulen strukturell verbessert werden, so dass diese Kinder zum Beispiel von Anfang an zusätzliche Sprachkurse belegen können. Oder dass sie bei den Hausaufgaben betreut werden. Und es darf einfach nicht sein, dass Eltern ihr Kind nicht in den Kindergarten schicken, weil sie es sich nicht leisten können.

Und was machen Sie 2009, wenn sie den Bundestag verlassen haben?

Dann gehe ich in den Sudan und werde dort in der Entwicklungszusammenarbeit arbeiten. Mein Mann und ich ziehen in die Hauptstadt Khartum, wo er deutscher Botschafter wird.

Was heißt Entwicklungshilfe im Sudan?

Da gibt es eine Reihe von Optionen. Wir haben uns beide für dieses Land entschieden, weil uns die politische Herausforderung reizt. Noch immer ist es nicht gelungen, den Darfur- Konflikt endlich friedlich zu beenden.

Interview: Hans Peter Schütz