Was hat das Gericht entschieden?
Die Bundestagswahl muss in Teilen Berlins wiederholt werden, so lautet das Karlsruher Urteil. Grund dafür sind die teilweise chaotischen Zustände in der Hauptstadt bei der Wahl 2021. Weil Wahlzettel fehlten oder es zu wenige Wahlkabinen gab, bildeten sich teilweise lange Schlangen, einige Wahllokale blieben länger als 18 Uhr geöffnet.
Das Gericht hat nun entschieden, dass insgesamt 455 von rund 2200 Wahlbezirken von den Mängeln betroffen waren, die Wahl dort deshalb wiederholt werden muss. Sowohl die Erst- als auch die Zweitstimme müssen dort erneut abgegeben werden.
Damit gehen die Richterinnen und Richter über einen Beschluss des Bundestages hinaus. Mit den Stimmen der Regierungsmehrheit von SPD, Grünen und FDP hatte dieser bereits eine teilweise Wiederholung festgelegt, allerdings nur in 431 Bezirken.
Ein Erfolg für die Union?
Die Entscheidung des Bundestags sei nicht ausreichend, befanden CDU und CSU und zogen deshalb vor das Gericht in Karlsruhe. Ein klarer Punktsieg für die Union ist das heutige Urteil trotzdem nicht: "Der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 10. November 2022 ist im Ergebnis überwiegend rechtmäßig", stellt das Gericht in einer Pressemitteilung klar. Die Unionsfraktion hatte ursprünglich gefordert, dass die Zweitstimmen für die Parteilisten in jener Hälfte der Berliner Wahlkreise neu abgegeben werden, in denen der damalige Bundeswahlleiter die Wahl angriff. So weit geht das Urteil aus Karlsruhe nicht.
Eine Rüge für die Abgeordneten ist in dem Urteil aber enthalten: Der Bundestag habe das Wahlgeschehen nur unzureichend aufgeklärt, sei nicht allen Hinweisen nachgegangen. So seien die Niederschriften einzelner Wahlbezirke nicht ausgewertet worden, erläuterte die Vorsitzende Richterin Doris König – obwohl der Bundestag dazu verpflichtet gewesen sei.
Was bedeutet das Urteil?
Auch wenn die Wahl nun in mehr Bezirken wiederholt werden muss als vom Bundestag eigentlich geplant: Auf die Zusammensetzung des Parlaments wird das keine nennenswerten Auswirkungen haben und damit ebenso wenig auf die Mehrheit von SPD, Grünen und FDP.
Für einzelne Berliner Abgeordnete aber steht viel auf dem Spiel. Manche, die ihren Wahlkreis vor zwei Jahren nur knapp gewonnen haben, könnten bei einer Wiederholung eine Niederlage einfahren. Sie müssten dann nach zwei Jahren parlamentarischer Arbeit aus dem Bundestag ausscheiden. Andere, die 2021 scheiterten, könnten nun doch noch ins Parlament einziehen.

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Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts geht jedoch auch über den konkreten Fall der Berlin-Wahl 2021 hinaus. Die Richterinnen und Richter haben sich näher damit beschäftigt, was genau einen Wahlfehler ausmacht, und was nicht. So sagt das Gericht etwa: "Überlange Wartezeiten sind als solche nicht als Wahlfehler anzusehen." Es legt allerdings in diesem Fall eine zeitliche Grenze fest: Komme es zu einer Wartezeit von über einer Stunde, sei das nicht mehr akzeptabel. Übersetzt heißt das, dass die Wahlleiter künftig Vorsorge dafür treffen müssen, dass die Wartezeiten 60 Minuten nicht übersteigen. Für die Wählerinnen und Wähler ist das eine gute Nachricht. Allerdings: Wenn ein Wahllokal bis 18.30 Uhr und damit eine halbe Stunde länger geöffnet sei, könne das noch angemessen sein, so das Gericht.
Muss die Linke weiter zittern?
Für die Linke war die Lage vor dem Urteil besonders angespannt. Denn 2021 blieb sie unter der Fünf-Prozent-Hürde und konnte nur deshalb in den Bundestag einziehen, weil sie drei Direktmandate gewann – zwei davon in Berlin. Hätte die Berliner Wahl komplett wiederholt werden müssen, hätten Gregor Gysi oder Gesine Lötzsch ihren Wahlkreis verlieren können. Dann hätten alle 39 Abgeordneten der ehemaligen Linksfraktion ihre Mandate verloren, inklusive der zehn Abtrünnigen um Sahra Wagenknecht.
Nun allerdings steht fest: In den Wahlkreisen von Gysi und Lötzsch muss nur in so wenigen Unterbezirken nochmals gewählt werden, dass der Verlust ihrer Direktmandate eigentlich ausgeschlossen ist. Die Linke zeigt sich denn auch erleichtert: "Mit dem Urteil ist klar, dass wir im Bundestag bleiben und unsere Aufgabe als soziale Opposition weiter wahrnehmen werden", sagte der frühere Fraktionschef Dietmar Bartsch der Deutschen Presse-Agentur.
Wie geht es weiter?
Wann die Wahl in den betroffenen Bezirken wiederholt werden soll, steht bereits fest: am 11. Februar 2024. Das teilte der Landeswahlleiter Stephan Bröchler unmittelbar nach der Entscheidung mit.