Herr Wiegard, wie schätzen Sie die Lage des deutschen Bundeshaushalts ein angesichts der dramatischen Staatsverschuldung?
Wie Sie schon sagen: Die Lage der öffentlichen Haushalte ist dramatisch - nicht nur für den Bund, auch für die Bundesländer. Man muss allerdings hinzufügen, dass der starke Anstieg der Staatsverschuldung durch die aktuelle Wirtschaftskrise bedingt ist.
Wie lassen sich die Staatsfinanzen sanieren und zwar nachhaltig?
Man muss unterscheiden zwischen der über die so genannten automatischen Stabilisatoren bewirkten zusätzlichen Neuverschuldung, der durch diskretionäre Maßnahmen erhöhten konjunkturbedingten Neuverschuldung und dem Anstieg der strukturellen Neuverschuldung. Der auf den automatischen Stabilisatoren beruhende Anstieg wird im Aufschwung automatisch zurückgeführt. Problematisch ist vor allem der Anstieg der strukturellen Staatsverschuldung. Die strukturelle Defizitquote muss zurückgeführt werden, sobald die Wirtschaftskrise vorbei ist. Dazu gibt es im Endeffekt nur drei Möglichkeiten: Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen oder eine Kombination von Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen.
Kommen wir überhaupt um Steuererhöhungen herum?
Im Prinzip könnte man die Rückführung der strukturellen Neuverschuldung über Ausgabenkürzungen bewältigen. Praktisch halte ich das für ausgeschlossen. Insofern wird man über kurz oder lang nicht um Steuererhöhungen umhin kommen. Das ist eine ökonomische Binsenweisheit. Wer was anderes sagt, versteht entweder wenig von Ökonomie oder er sagt die Unwahrheit.
Welche Steuern sollten Ihrer Ansicht denn steigen, Mineralöl-, Mehrwert- oder Einkommensteuer? Oder sollte es einen Mix geben? Und wann sollte das geschehen?
In jedem Fall sollten Steuererhöhungen erst vorgenommen werden, wenn die Krise vorbei ist, also keinesfalls vor 2011, eher später. Welche Steuer dann erhöht wird, hängt von den Zielen ab. Im Hinblick auf das Wachstums- und Beschäftigungsziel wäre eine Erhöhung des Normalsatzes der Umsatzsteuer am besten. Das Umweltziel lässt sich am besten über Energiesteuern erreichen. Von einer Erhöhung der Einkommensteuer sollte man die Finger lassen.
Was ist mit der oft ins Spiel gebrachten Vermögensteuer oder der Börsenumsatzsteuer, die die SPD wieder einführen will? Würde das dem Staatshaushalt helfen?
Natürlich könnte man darüber zusätzliche Einnahmen erzielen, aber keinesfalls in einem solchen Umfang, dass damit die strukturellen Defizite beseitigt werden könnten. Unabhängig davon wäre das der falsche Weg. Eine Börsenumsatzsteuer würde die Eigenkapitalbildung steuerlich stärker belasten. Mit Einführung der Abgeltungsteuer wird Eigenkapital aber gegenüber Fremdkapital sowieso schon steuerlich diskriminiert. Eine noch stärkere Diskriminierung macht überhaupt keinen Sinn. Das gilt auch für die Wiedererhebung der Vermögensteuer.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Welche Ausgaben sollte der Staat kürzen, Renten, Krankenversicherung, Hartz IV oder was sonst?
Die finanziellen Spielräume für Ausgabenkürzungen sind begrenzt. Man könnte noch einiges bei den Subventionen rausholen - so ist die Koch-Steinbrück-Liste noch nicht vollständig abgearbeitet. Aber ohne Steuererhöhungen wird es letztlich nicht gehen.
Sind die Versprechen der Politiker, insbesondere der FDP und der Union, glaubwürdig, dass man die Bürger bei den Steuern entlasten kann?
Sofern keine Gegenfinanzierungsvorschläge gemacht werden, sind solche Versprechen weder glaubwürdig noch finanzpolitisch seriös.
Was würden Sie den Politikern empfehlen?
Einmal wäre es etwas Nachhilfeunterricht über die Ökonomie der Staatsverschuldung empfehlenswert. Zum anderen sollte man eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nach den Wahlen nicht ausschließen; irgendeine Steuer muss erhöht werden - und die Mehrwertsteuer ist da ein ganz heißer Kandidat.