Das sagen stern.de-Leser "Befreiung der Nichtraucher"

"Raucher, aufstehen!", hat stern-Redakteur Hans-Ulrich Jörges aufrührerisch gefordert - und die Rauchverbote in Gaststätten gegeißelt. stern.de-Redakteurin Nina Bublitz hielt dagegen. Das Thema berührt auch die stern.de-Leser. Viele nahmen an der Debatte teil. Hier lesen Sie eine Zusammenfassung.

2008 wird in Deutschland das Jahr der Nichtraucher. Allenthalben greifen Rauchverbote des Bundes und vor allem der Länder. Besonders kritisch: Auch in Restaurants und Kneipen wird das Qualmen verboten. Ist das gut? Ist das schlecht? Gehen die Verbote zu weit? Oder sind sie zwingend notwendig? stern.de hat in den vergangenen Tagen mehrere Artikel und Kommentare zu dem Thema veröffentlicht. Unter anderem argumentierte stern-Redakteur Hans-Ulrich Jörges leidenschaftlich gegen den vermeintlichen Verbotswahn.

Leidenschaftliche Diskussionen

Nicht minder leidenschaftlich beteiligten sich die stern.de-Leser an der Diskussion. Allein bis Donnerstagnachmittag schrieben sie 450 Kommentare. Die einen triumphieren, weil sie sich auf rauchfreie Restaurantbesuche freuen, die anderen sind erbost, weil für sie der Staat zu weit geht. Toleranz fordern indes beide Lager für sich ein. Dabei ging es in der Diskussion um sehr konkrete Streitfragen: Sollte man nicht zumindest in kleinen Kneipen rauchen dürfen? Müssen die Kneipenbesitzer zu Unrecht büßen? Und: Haben die Verbote denn in anderen Ländern überhaupt etwas genützt?

Die Verbotsbefürworter neigen dazu, der versprochenen Rücksichtnahme der Raucher zu misstrauen. Deshalb halten sie ein striktes Vorgehen für nötig. "Dermullrich" schreibt: "Die freiwillige Kontrolle hat einfach nicht funktioniert, und ich möchte im täglichen Leben nicht mit Rauch in Berührung kommen müssen. Nicht bei der Arbeit, im Restaurant, im Zug und auf dem Bahnsteig." Ähnlich sieht das "Nboehme": "Wenn etwas nicht verboten ist, wird es schamlos ausgenutzt. Das hat die Vergangenheit zu oft bewiesen." "Endbenutzer" sieht Egoisten am Werke: "Ob es um das Zusammenleben in einer Hausgemeinschaft geht oder eben ums Rauchen: man könnte viele Gesetze und Verordnungen ersatzlos streichen, wenn es nicht so viele Egoisten gäbe."

Um wessen Freiheit geht es eigentlich?

Die Verbotsgegner berufen sich bei ihrer Ablehnung weiterer Gesetze vor allem auf die Freiheit. Diese sehen sie durch die Verbote im Kern gefährdet. Ähnlich hatte auch stern-Redakteur Hans-Ulrich Jörges in seiner Kolumne "Raucher, aufstehen!" argumentiert. "FlameDance" hat für Jörges' Bangen keinerlei Verständnis. Im Gegenteil. Er unterstellt den Rauchern Heuchelei. Die "armen Raucher" beschwörten just jene Freiheit, schreibt der Leser, die sie den Nichtrauchern nicht vergönnten, indem sie auf deren Bedürfnisse keine Rücksicht nähmen. Von einer "Befreiung der Nichtraucher" schreibt gar "guentie2477". Besonders viel Zustimmung erntete "El_Shut" in der Debatte mit der Feststellung: "Die Freiheit des einen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Wobei Raucher auch weiterhin die Freiheit besitzen, in jedes Restaurant zu gehen - nur dürfen sie dort nicht mehr die Gesundheit anderer Menschen gefährden. Eigentlich sollte das selbstverständlich sein, aber die Sucht macht eine zivilisierte Selbstbeschränkung offenbar unmöglich, sodass eine gesetzliche Regelung notwendig ist."

Verbotsgegner "Burgondy" unterstellt der Politik schlicht wahnhaftes Verhalten: "Das ist doch einfach ein peinlicher Kontrollzwang, Bürgern zu verbieten, in Kneipen zu rauchen", schreibt er. "Ich selber bin Nichtraucher, aber ich kann mir nicht vorstellen, abends in einen Pub zu gehen, in dem keine Nebelwand den Blick zum Tresen beeinträchtigt." Auch Leser "Balou65" fürchtet staatliche Bevormundung: "Was aber seit geraumer Zeit in diesem und anderen Ländern mit den Rauchern geschieht - und dies alles unter dem Umhang Nichtraucherschutz -, ist an Bevormundung und Regulierung nicht mehr zu überbieten. Ich bin auch für Nichtraucherschutz. Aber bitte angemessen - und ohne dabei die Raucher zu verteufeln."

Sollten Zigaretten verboten werden?

Dass Verbote dazu führen können, Raucher zu stigmatisieren, sie sozial auszugrenzen, fürchten sowohl rauchende als auch nichtrauchende Leser. Besonders betroffen fühlen sich Raucher, die sich selbst als tolerant einschätzen. "Danov" findet die Diskriminierung der Tabakkonsumenten unerträglich und "Azzrael" fordert: "Denkt wirklich mal darüber nach, wo der Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit noch machbar ist." Nichtraucherin "klipeely" stellt fest, dass auch sie die Stimmung gegen Raucher als "Hetzjagd" empfinde. "Wer sich heute als Raucher outet, wird im nächsten Moment wie ein Aussätziger behandelt."

Für eine Vielzahl der Leser handelt es sich bei der Raucherei in erster Linie um eine Krankheit, eine Sucht, die mit allen möglichen Mitteln bekämpft werden muss. "Welcher Raucher greift aus freiem Willen zur Zigarette? Freiheit setzt doch voraus, dass ich unter verschiedenen Möglichkeiten wählen kann. Die Mehrzahl der Raucher kann gar nicht wählen. Sie haben ihre Wahlmöglichkeit verloren. Der Staat verschafft gerade mit seinen Maßnahmen dem Raucher allererst die Möglichkeit, wieder frei zu entscheiden.", argumentiert "steinhaus". Noch konsequenter argumentiert "Leondriel": "Der Glimmstängel sollte wie so viele andere Drogen komplett verboten werden. Letzteres wäre für Raucher natürlich hart und schwer umzusetzen, da die Süchtigen kaum von heute auf morgen aufhören könnten. Trotzdem wäre das eine klare Aussage und kein zweigleisiges Rumgehampel wie jetzt, wo die Raucher auf der einen Seite die Buhmänner sind aber auf der anderen hohe Steuern abdrücken müssen." Auch "soulseeker" fragt, warum man Zigaretten überhaupt erwerben darf. Tabakwaren, schreibt er, seien 2eines der schlimmsten Suchtmittel unserer Gesellschaft und haben nicht eine einzige positive Eigenschaft, außer dass sie einen lebenslang versklaven." Die Erfahrung hat wohl auch "FrauMueller" gemacht: "Ich bin Raucher und freue mich über diese Gesetze. Durch das Rauchverbot wird es Nikotinabhängigen wie mir leichter gemacht aufzuhören."

Ist das ein Angriff auf das freie Unternehmertum?

Besonders erregt die Leser, dass Wirte künftig nicht bestimmen können, ob in ihren Kneipen und Restaurants geraucht wird. "Vandog" fürchtet um das freie Unternehmertum: "Als Unternehmer muss es doch einem selber überlassen sein, was für ein Geschäft er führt und welche Gäste er haben will und welche nicht! Es kann doch nicht sein, dass mir der Gesetzgeber vorschreibt, welche Kunden ich in mein Lokal zulassen habe!" stern.de-Leser "Mitschl" sorgt sich um die kleinen Kneipen, in denen die Menschen am Samstagnachmittag Fußball schauen. "Dabei wollen viele ein Bier trinken und eine rauchen. Können Sie das nicht mehr, gehen Sie nicht mehr hin. Und wer bereits einmal in einer kleinen Kneipe war, wird wissen, wie viele der Anwesenden rauchen." Kneipier "R.B." berichtet sogar: "Ich arbeite seit 30 Jahren in der Gastronomie, bin Nichtraucher und weiß, was an der Raucherfront los ist. Ich habe meine Gaststätte so umgebaut, wie es das Gesetz verlangt. Damit sich alle wohl fühlen: das Ganze schön mit Fachwerk, Glas und Türen. Das war nicht billig. Nun habe ich knapp 60 Quadratmeter für Raucher und 75 Quadratmeter für Nichtraucher. Während sich die Raucher am Wochenende in ihrem Abteil drängen und es eng wird, stehen nun 75 Quadratmeter leer. Keine Nichtraucher in ihrem Abteil, nicht einer. Das ist die Realität."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Niemand weint so viel wie die Deutschen"

Angeregt diskutierten die Leser auch über die vielfältigen Beispiele aus dem Ausland, wobei auch Kommentare aus Ländern mit Rauchverbot das Forum erreichten. Zum Beispiel von der Italienerin "basso": "Ich bin Raucher, und wie alle anderen Raucher auch, genieße ich es nach dem Essen oder mit Freunden ein Bier zu trinken und gemütlich eine zu rauchen. Ich bin Italienerin und lebe auch in Italien. Bei uns gibt es das Rauchergesetz schon länger und für alle Raucher: Man gewöhnt sich im Nullkommanix daran!!" Daran glaubt auch "Gwynifer", die schreibt: "Die Rauchverbote und deren Ergebnisse weltweit funktionieren. Niemand weint so viel wie die Menschen in Deutschland. Rauchen ist ja nicht generell verboten, sondern nur da. wo andere dem Rauch ausgesetzt werden." Leser "malt" hält dagegen: "Jedes Land ist halt unterschiedlich. Warum funktioniert Pay-TV im Ausland, nur bei uns schreiben die Unternehmen rote Zahlen? Warum hat Wal-Mart weltweit Erfolg, nur in Deutschland haben sie mittlerweile aufgegeben? Dieses 'Bei-Anderen-Funktioniert-Es-Doch-Auch-Argument' ist völliger Blödsinn."

Zentraler Punkt bei der erhitzten Debatte auf stern.de war die Frage, wie sehr das Rauchen oder Rauchverbote die Lebensqualität der jeweils anderen einschränken - im einen Fall der Nichtraucher, im anderen Fall der Raucher. Auch wenn keine Einigkeit erzielt wurde, gebührt Leser "Ighor" die Ehre, das unbestimmte Gefühl, das ein Rauchverbot auslösen könnte, mit einem Zitat des Satirikers Wiglaf Droste am besten belegt zu haben: "Ein müder Arbeiter", schreibt der Leser, "raucht frühmorgens nach der Schicht am offenen S-Bahnhof eine Zigarette. Eine mittelalte Dame regt sich soweit auf, dass sie irgendwann ruft: 'Ich will leben! Ich will leben!' Die trockene Antwort: 'Warum eigentlich?"