Bei der Aufnahme der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine schlägt der Bund einen neuen integrationspolitischen Weg ein: Die Ankommenden sollen ab dem 1. Juni automatisch Anspruch auf Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II erhalten, wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstagabend nach Beratungen mit den Länderchefinnen und -chefs sagte. Die Ukraine-Flüchtlinge bekommen damit Zugang etwa zur Betreuung durch die Jobcenter und zu Sprachkursen. Darüber hinaus unterstützt der Bund die Länder mit einer Milliarden-Pauschale bei der Unterbringung und Integration. Die Regelungen im Einzelnen.
Grundsicherung: Ab dem 1. Juni sollen Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland Grundsicherung beziehen können. Die Kosten dafür trägt der Bund. Damit werden die Kriegsflüchtlinge bei den Leistungen für ihre Lebenshaltungskosten behandelt wie anerkannte Asylbewerber.
Nach der bisherigen Praxis fallen Geflüchtete aus der Ukraine als anerkannte Kriegsflüchtlinge laut Aufenthaltsgesetz noch unter das Asylbewerberleistungsgesetz – damit bekommen sie unter anderem weniger Geld als Hartz-IV-Empfänger. Mit dem Bund-Länder-Beschluss zur Aufnahme in die Grundsicherung nach Sozialgesetzbuch (SGB) II erhalten sie höhere Bezüge. Damit verbunden sind weitere Vorteile – etwa bei der gesundheitlichen Versorgung und beim Zugang zu Deutschkursen.
Zusätzlicher Milliardenbetrag: Der Bund zahlt Ländern und Kommunen in diesem Jahr pauschal zwei Milliarden Euro für die Mehraufwendungen für die Versorgung und Unterbringung der Geflüchteten. Davon entfallen 500 Millionen Euro auf die Kosten der Kommunen für die Unterbringung der Menschen aus der Ukraine sowie 500 Millionen Euro auf die bereits bisher aufgelaufenen Ausgaben der Gemeinden für die Lebenshaltungskosten. Mit einer Milliarde Euro werden weitere Kosten abgegolten, etwa für die Kinderbetreuung und die Integration in Schulen sowie Gesundheits- und Pflegekosten. Die Gesamtsumme wird den Ländern über einen erhöhten Anteil an der Umsatzsteuer zur Verfügung gestellt.
Anschlussregelung: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Länderchefs und -chefinnen wollen Anfang November über die Entwicklung der Flüchtlingssituation erneut beraten und eine Regelung für das Jahr 2023 vereinbaren.
Arbeitsaufnahme: Die Geflüchteten aus der Ukraine können unmittelbar eine Arbeit in Deutschland aufnehmen, die Ausländerbehörden erlauben bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ausdrücklich die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Eine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ist nicht nötig.
Verteilung: Bund und Länder bekräftigen, dass die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nach dem so genannten Königsteiner Schlüssel verteilt werden sollen, der sich vor allem nach der Wirtschaftskraft der Länder richtet. Darauf hatten sie sich bereits im März geeinigt. Der Bund ist für die Koordinierung zuständig und informiert die betreffenden Länder jeweils über die anstehenden Verteilungen.
Zehntausende Menschen sind auf der Flucht und werden mit offenen Armen empfangen

"Die Länder werden sich solidarisch zeigen, um diejenigen Länder zu unterstützen, in denen besonders viele Geflüchtete Zuflucht gefunden haben", heißt es in der am Donnerstag getroffenen Vereinbarung. Mit Ländern, die als eine Art Drehkreuze bei der Flüchtlingsverteilung fungieren, will der Bund eine Kompensation der dadurch entstehenden Kosten vereinbaren. Das dürfte unter anderem Berlin betreffen, wo viele Züge mit Ukraine-Flüchtlingen ankommen.
Scholz nennt Regelung für Ukraine-Flüchtlinge "vorbildhaft"
Scholz sprach im Anschluss der Beratungen von einer "sehr weitreichenden Entscheidung". Diese sei "vorbildhaft" dafür, wie das Land künftig mit den Geflohenen aus der Ukraine umgehen solle. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sprach von einem "Quantensprung". Deutschland gehe damit "integrationspolitisch einen großen Schritt in die richtige Richtung".
Scholz wies den Eindruck zurück, dass der Bund-Länder-Beschluss auf eine Bevorzugung der Geflohenen aus der Ukraine hinauslaufe und eine Zwei-Klassen-Gesellschaft unter den Flüchtlingen hierzulande schaffe. Der Kanzler verwies darauf, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer bereits jetzt nach geltender Rechtslage einen Aufenthaltsstatus in Deutschland besäßen - und damit anerkannten Asylbewerbern gleichgestellt seien. "Es gibt keine Ungleichbehandlung", sagte er.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) begrüßte die Einigung zwischen Bund und Ländern zur Aufteilung der Kosten. "Insgesamt haben wir einen vertretbaren Kompromiss zur Verteilung der finanziellen Verantwortung gefunden", sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz. Die Hilfe für die Flüchtlinge aus der Ukraine sei eine "nationale Aufgabe", deshalb müssten Bund, Länder und Kommunen zusammenarbeiten.
Manche Länder hätten sich mehr gewünscht, sagte Wüst. Nicht nur die Unterbringung, auch die Integration von Kindern in Schulen und Kitas oder die Betreuung alter Menschen koste Geld. Wichtig sei den Ländern daher eine Anschlussregelung für Flüchtlinge, die noch nach Deutschland kommen werden. Dazu sei die Bundesregierung bereit, betonte Wüst.