Friedrich Merz beherrscht eine für Spitzenpolitiker unübliche Disziplin nahezu weltmeisterlich: Der Bundeskanzler schafft sich politische Probleme gern selbst. Neuestes Beispiel: sein Satz über "die Migration" und "dieses Problem im Stadtbild".
Auf einem Termin in Brandenburg wollte Friedrich Merz eigentlich über die Erfolge seiner Bundesregierung in der Asylpolitik sprechen. Was er stattdessen sagte, war Folgendes: "Wir sind bei der Migration sehr weit." Man habe die Asylzahlen um 60 Prozent nach unten gebracht. "Aber wir haben im Stadtbild immer noch dieses Problem", erklärte der Kanzler.
Friedrich Merz raunt, statt zu erklären
Wobei "erklären" dafür ein zu großes Wort ist. Eigentlich raunte der Regierungschef öffentlich über das, was sonst an den Stammtischen der Republik zum Besten gegeben wird. Ausgerechnet der Mann, der doch die Probleme dieses Landes in den Griff bekommen will, betätigt sich so als Türöffner einer dunklen Haltung: Viele Deutsche glauben ausweislich der Umfragen, dass in den Innenstädten inzwischen zu viele Menschen unterwegs sind, die anders aussehen, riechen oder heißen und manchmal lauter reden.
Man kann einmal festhalten: Es gibt Probleme in deutschen Innenstädten, besonders rund um Bahnhöfe. Verwahrlosung, Drogenkonsum, Gewalt. Manche davon werden ausgelöst durch die Absurditäten des Asylsystems, durch traumatisierte Menschen ohne Perspektive. Natürlich hat die starke Asylmigration nach Deutschland Probleme mit sich gebracht, genauso wie die Armutsmigration innerhalb der EU. Ein Kanzler muss darüber reden, zumal ein konservativer wie Merz.
Er hat doch recht, rufen seine Unterstützer deshalb. Endlich sagt's mal einer!
Merz aber sagt in Wahrheit etwas anderes. Wenn er über Kriminalität durch Ausländer sprechen wollte, hätte er über Kriminalität durch Ausländer sprechen können. Wenn er über Probleme rund um Bahnhöfe sprechen wollte, hätte er das genauso sagen können. Hat er aber nicht. Wenn er über "die Migration" als Problem spricht, dann spricht er über alle Migranten. Und muss sich nicht wundern, wenn sie sich ausgemeindet fühlen.
Worte haben eine Bedeutung. Regieren erfordert Präzision. Das Raunen ist ein Privileg der Bürger. Und die Kunst der politischen Rede ist die, so verstanden zu werden, wie man es gern hätte.
Merz' Satz vom "Stadtbild" öffnet einen Blick in eine reaktionäre Sehnsuchtswelt, die weit in die deutsche Nachkriegsgeschichte zurückführt, in eine Zeit, als der Stadtschneider Müller und der Kaufladenbesitzer Meier hieß und die Kowalskis und Kayas maximal als Hilfsarbeiter und Putzkräfte am damaligen Wirtschaftswunder mitwirkten. Diese Republik gibt es nicht mehr. Ein Glück.

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Deutschland ist längst ein Einwanderungsland, nahezu jeder dritte Einwohner hat einen Migrationshintergrund. Die CDU hat dieses Land die meiste Zeit regiert. Will Merz in eine andere Zeit zurück? Hat er das wirklich gemeint? Wahrscheinlich nicht. Aber schon der Anschein des Ressentiments ist auch für ihn bedrohlich. Und Gift für seinen Plan, dieses Land ohne die AfD zu regieren.
Man kann sich leicht ausmalen, wie es jetzt weiterläuft. In jeder Debatte wird man ihm nun vorwerfen können: Herr Merz, Sie wollten doch unser Stadtbild wieder ändern! "Shishabars" und "Asia-Imbisse" überall und es riecht auch immer so komisch, neulich waren die Nachbarn wieder laut, und eine von denen ist sogar verschleiert.
Menschen sind so. Der Bundeskanzler wird dann vermutlich antworten, es werde doch schon 60 Prozent mehr abgeschoben und er habe soundso viele Gesetze verschärft und soundso viele Polizisten neu eingestellt.
Die Antwort kann man sich ebenfalls vorstellen: Aber das Stadtbild, Herr Merz, da fühle ich mich trotzdem nicht mehr wohl.
Die extreme Rechte wird ihn jagen mit seinem Satz. Und (fälschlich) versprechen, dass mit ihr die "gute alte" Müller-Maier-Schulze-Zeit zurückkäme. Stichwort: Remigration.
AfD-Frau Beatrix von Storch freut sich schon. Der Bundeskanzler habe ja die besondere Gabe, schrieb sie, die Dinge in ein einziges Wort zu packen: #Stadtbild. "Weiter so. Jetzt müssen Sie nur noch entsprechend handeln."
Die Erfahrung lehrt, dass Friedrich Merz derweil damit beschäftigt sein wird, seine Aussagen zu relativieren und einzusortieren. Er habe ja nur die Asylbewerber gemeint und davon auch nur diejenigen, die illegal hier sind. Und natürlich, Deutschland sei ein Einwanderungsland, mit Migration an sich habe er überhaupt kein Problem.
Nur dürfen sich der Bundeskanzler und seine Partei nicht wundern, wenn jetzt immer mehr Menschen raunen: Ob das wohl stimmt?