Frau Ministerin, der dickste Brocken ist gestemmt. Die Gesundheitsreform tritt am 1.April in Kraft. Was macht das mit ihren Gefühlen? Sind Sie stolz, glücklich, zufrieden?
Vor allem zufrieden, dass das Gesetz jetzt beschlossen ist. Das war ein zähes Stück Arbeit. Jetzt ist es an den Krankenkassen, sich darauf zu besinnen, dass sie für die Versicherten da sind und dafür, das Geld der Versicherten optimal einzusetzen.
Die Gesundheitsreform ist für den Normalbürger schwer verständlich. Können sie sagen drei Gründe sagen, weshalb die Bürger ihren Frieden mit der Reform machen sollten?
Die Bürgerinnen und Bürger standen mit der Reform niemals auf Kriegsfuss. Denn die Situation bessert sich: Erstens: Jetzt bleibt in Deutschland niemand mehr ohne Krankenversicherungsschutz. Wer den verloren hatte, weil er nicht mehr zahlen konnte, kann in seine alte Kasse zurückkehren, unabhängig davon, wie krank er ist oder wie alt. Zweitens: Das Vermeiden von Krankheiten wird genauso wichtig wie die Behandlung. Und gute Behandlung sowie umfassende Rehabilitation sollen bewirken, dass möglichst wenig Folgeerscheinungen einer Erkrankung bleiben. Drittens: Wir durchforsten das System danach, wo Geld sinnlos ausgegeben wird. Ob etwa teure Arzneimittel ihr Geld wirklich wert sind. Ob gespart wird bei Krankenkassen und ihren gut verdienenden Vorständen. Unterm Strich: Wir tun alles, damit das Gesundheitssystem bezahlbar bleibt.
Erklären Sie bitte den Menschen, weshalb sie weithin höhere Krankenkassenbeiträge zahlen müssen, während die Kassen in Geld schwimmen, weil sie 2006 1,73 Milliarden mehr eingenommen haben als geplant.
Die Mehrzahl aller Kassen ist schuldenfrei. Von 240 sind nur noch 60 im minus. Daher rufe ich die Versicherten nachdrücklich auf, nachzufragen, warum ihre Kasse den Beitrag erhöht. Wenn die Kassen alle Sparmöglichkeiten ergreifen, müssten viele wieder in der Lage sein, die Beiträge stabil zu halten. Ich verlange, dass die verschuldeten Kassen bis 2008 schuldenfrei werden. Sie müssen mit dem Geld der Mitglieder wirtschaftlich umgehen. Bei den besonders betroffenen Allgemeinen Ortskrankenkassen liegt die Misere vor allem darin begründet, dass wir immer noch arme und reiche AOKs haben. Die müssen endlich über die Ländergrenzen hinweg fusionieren. Dann kann es den Not leidenden AOKs schnell besser gehen. Auf mittlere Sicht wäre eine Bundes-AOK sinnvoll.
Erklären Sie uns auch, weshalb dieser Tage Kassenpatienten besonders lange bei vielen Ärzten warten müssen, während die Privatpatienten sofort drankommen.
Ich halte das für unethisch. Ärzte, die Kassenpatienten behandeln, haben einen Vertrag mit der gesetzlichen Krankenversicherung. Der macht ihr Haupt-Einkommen aus. Wer das nicht will, kann jederzeit seine Zulassung zurückgeben und sagen: Ich behandle nur noch Privatpatienten. Doch das tun sie aus gutem Grund nicht. Es kann doch nicht sein, dass ein Arzt sagt: Weil du von der Kasse kommst, wartest du vier Wochen, weil du privat kommst, bist du sofort dran. Vertragsgrundlage ist, dass die kontinuierliche Behandlung der Kassenpatienten garantiert ist. Wo das nicht der Fall ist, sollte sich der Versicherte sofort an seine Kasse wenden. Serviceorientierte Kassen, wie z. B. die AOK Rheinland-Hamburg, die Barmer und die Deutsche BKK besorgen in diesen Fällen ihren Kunden rasch einen Termin.
Sie sagen, "wir haben das beste Gesundheitssystem der Welt". Ganz schön vollmundig!
Ich kenne niemanden bei uns, der auf die Frage, wo möchten sie im Ernstfall behandelt werden, nicht antwortet: in Deutschland. Selbst die aus Deutschland ausgewanderten Ärzte geben diese Antwort. Ich kann das verstehen, denn wir haben einen umfassenden Leistungsanspruch: Alle zugelassenen Medikamente und Therapien stehen zur Verfügung.

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Für welche Zielgruppen des Gesundheitssystems bessert sich die strukturelle Situation ganz besonders?
Vor allem für Schwerstkranke, für Menschen mit seltenen Krankheiten und für Ältere mit chronischen Erkrankungen. Wir öffnen die Krankenhäuser für die ambulante Versorgung, zum Beispiel von Krebskranken, und für Menschen, die Spezialisten brauchen, die sie in der ambulanten Versorgung nicht finden. Niemand muss mehr zum medizinischen Dauerpendler zwischen Klinik und ambulanter Behandlung werden. Rehabilitation wird zum generellen Leistungsanspruch, auch für Ältere über 65. Und wir wollen, dass todkranke Menschen zu Hause sterben können, so betreut, dass jeder möglichst schmerzfrei zu Hause und in Würde sterben kann. Und in den Kinderhospizen, in denen unheilbar erkrankte Kinder auf ihren Tod warten, haben wir den Spendenanteil bei der Finanzierung auf fünf Prozent gesenkt. Diese Kinder brauchen mehr Personal zur Betreuung, da sich ihr Sterben oft über lange Jahre hinzieht.
Die nächste politische Großbaustelle wartet auf Sie: Die Reform der Pflegeversicherung. Was muss sie aus Ihrer Sicht vor allem bringen?
Drei Dinge. Wir müssen die Versorgungsstrukturen der älter werdenden Gesellschaft anpassen. Es gibt immer mehr Hochbetagte, die Pflege brauchen und Betreuung. Je älter ein Mensch wird, desto größer das Risiko einer dementiellen Erkrankung. Gegenwärtig ist nur die Körperpflege einbezogen, nicht die Betreuung. Es muss neben den Heimen mehr ambulante Strukturen geben: Betreutes Wohnen, Wohngemeinschaften, Nachbarschaftshilfe. Und wir müssen die Leistungen dynamisieren. Die Finanzmittel sind seit zehn Jahren nicht mehr erhöht worden.
Und wie soll das bezahlt werden?
Finanzierungsvorschläge werden wir in Ruhe mit dem Koalitionspartner diskutieren. Aber eines ist auch klar: Wir müssen diskutieren, was unserer Gesellschaft die Pflege älterer Menschen wert ist. Was kann man mit dem jetzigen 1,7-Prozent-Beitrag finanzieren? Wir müssen jetzt zudem eine Reserve aufbauen für die Zeit, wenn die geburtenstarken Jahrgänge alt werden.
Wann soll die Reform in Kraft treten?
Im nächsten Jahr.
Fühlten Sie sich im Kampf um die Gesundheitsreform von Angela Merkel immer ausreichend unterstützt?
Ja. Absolut.
Weshalb so einsilbig?
Es gibt hier nicht viel zu sagen, weil ich nie den leisesten Zweifel gehabt habe, dass ich die volle Unterstützung der Kanzlerin habe.
Was macht für Sie die Zusammenarbeit mit der Kanzlerin so angenehm?
Für mich ist entscheidend, dass man sich aufeinander verlassen kann, dass man weiß, wo die Unterschiede liegen, und dass man sicher sein kann, dass auf der anderen Seite Sachkompetenz vorhanden ist. Auch bei unterschiedlichen Parteibüchern muss man sich aufeinander verlassen können. Unsere Zusammenarbeit ist von diesem Vertrauen geprägt.
Fühlen Sie sich mit Angela Merkel freundschaftlich verbunden?
Unser Verhältnis ist von gegenseitigem Respekt getragen.
Sie dürfen jetzt im Kabinett auch ausreden, anders als beim Basta-Kanzler Schröder?
Ich durfte auch bei ihm ausreden. Außerdem ist es nicht ganz einfach, mich nicht ausreden zu lassen.
Gibt es jenseits der Parteizugehörigkeit eine Frauensolidarität im Kabinett?
Da es keinen Mann gibt, der eine Vorrangstellung hat, ist das nicht notwendig.
Zur Zeit ist ja die CDU-Kollegin Ursula von der Leyen schwer unter Beschuss wegen ihrer Vorschläge zur Familienpolitik. Was raten Sie ihr?
Ich will ihr keinen Rat geben, aber ich ermutige sie, eisern durchzuhalten. Wir brauchen mehr Kinderbetreuung. Da die Forderung danach von einigen als ein Kulturkampf aufgefasst wird, frage ich mich, ob denn alle in CDU und CSU im 21. Jahrhundert angekommen sind.
Der Augsburger Bischof Mixa wirft der Kollegin vor, sie degradiere die Frau zu "Gebärmaschinen."
Der Bischof müsste sich ganz schnell entschuldigen für diese Wortwahl. Da sieht man, welchen Rang manche Vertreter der katholischen Kirche den Frauen zumessen.
Weshalb kritisiert die SPD-Führung die Familienministerin für ihre Vorschläge? Sie übernimmt dabei doch SPD-Vorstellungen. Das ist Sozialdemokratisierung im besten Sinne?
Die SPD sagt, das Konzept ist richtig. Frau von der Leyen hat mehr Unterstützung bei der SPD als in den eigenen Reihen. Aber jetzt muss Butter bei die Fische: Wie finanzieren wir denn das? Dafür macht die SPD Vorschläge.
Sie waren selbst Alleinerziehende - was wäre die wichtigste Unterstützung für Frauen in dieser Situation?
Ich brauchte Betreuung für mein Kind, denn ich musste Geld verdienen. Nur hatte ich das Glück, dass meine Mutter da war. Das hat nicht jeder. Ganztagsschulen gab es überhaupt nicht.
Demnächst sind sie vor Horst Seehofer die deutsche Gesundheitsministerin mit der längsten Amtszeit. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Wissen, was man will. Über gutes Wissen verfügen, damit man überall bestehen kann. Nicht beim ersten Gegenwind umfallen, sondern für seine Ziele streiten. Kurz, man braucht Stehvermögen.