Herr Welzer, wird ausreichend zum ausländerfeindlichen Hintergrund der Tat ermittelt?
Ich habe eine Äußerung einer Polizeisprecherin gelesen, die trotz eindeutiger Parolen wie "Ausländer raus" oder "Hier regiert der nationale Widerstand", sagte, dass die Polizei nicht unbedingt von einem fremdenfeindlichen Hintergrund der Tat ausgeht. Die strikte Ablehnung, einen rechtsextremistischen Hintergrund der Tat zu sehen, verdeutlicht sehr genau, dass das Verhalten der Jugendlichen vor Ort gedeckt wird.
Der Mügelner Bürgermeister Gotthard Deuß sagt, es gebe in dem Ort keine rechtsextreme Szene.
Die Reihen werden nach innen geschlossen, damit kein negatives Bild von dem Ort entsteht. Das ist sicherlich nicht besonders geschickt, aber vielleicht noch nachvollziehbar. Jeder weiß, wie sehr das Image eines Ortes durch den Rechtsextremismus-Vorwurf beschädigt wird. Viel wichtiger wäre es aber, dass auch vor Ort die politische und gesellschaftliche Verantwortung übernommen und der Fall lückenlos aufgeklärt wird.
Zur Person
Prof. Harald Welzer, Leiter des Zentrums für Gedächtnisforschung am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen, befasst unter anderem mit der Entstehung von und der Erinnerung an Gewaltexzesse.
Warum, glauben Sie, hat keiner die indischen Opfer vor den Angriffen der Schläger geschützt?
Die Neonazibanden können als langer Arm der schweigenden Mehrheit betrachtet werden. Sie führen Handlungen aus, die andere richtig finden. Das war auch bei dem Angriff auf das Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen vor 15 Jahren der Fall. Wenn Neonazibanden nicht genau wüssten, dass ihr Umfeld ihre Taten ganz in Ordnung finden, wären sie nicht mutig.
Werden Neonazi-Gruppen in Ostdeutschland toleriert?
Nicht nur das. Neonazis sind vielen Regionen Ostdeutschlands gesellschaftlich akzeptiert. Sie sind dort etwas vollkommen Normales. Selbst für gewalttätige Neonazis gibt es ein gewisses Verständnis. Es sind eben die eigenen Jungs, auch wenn sie eine Glatze tragen. Ausländer sind dagegen Fremde, die anders aussehen und nicht dazu gehören.

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Deswegen hat keiner auf dem Stadtfest den Indern geholfen?
Es ist sehr schwer, in einem solchen Klima Zivilcourage einzufordern. Selbst wenn ein Teil der Bürger Gewalttaten verurteilt. Wer in solchen Momenten Zivilcourage zeigt, riskiert nicht nur körperlichen Schaden, sondern auch seine eigene soziale Ausgrenzung.
Was geht in den Menschen vor?
Wenn eine Person signalisiert, sich eher auf die Seite der anderen, der Ausländer zu schlagen, als auf die Seite der eigenen Leute, dann gerät sie in Gefahr, sich selbst ins gesellschaftliche Abseits zu manövrieren. Wer dagegen nicht hilft, signalisiert: Ich sympathisiere mit den Tätern, ich will mich nicht exponieren und will nicht aus der Gruppe heraustreten.
Was treibt Jugendgruppen zu solchen brutalen Gewalttaten an?
Gewalttaten gegen Menschen, die ihnen nicht passen, gehören schlichtweg zur Lebenswelt mancher Jugendbanden dazu. Das ist in Ost- und Westdeutschland so, bei Neonazibanden und bei türkischen Jugendgangs. Diese Gruppen wollen einfach 'ein bisschen Spaß' haben. Der Kick kommt allein schon dadurch, sich die Aktion gemeinschaftlich auszudenken und durchzuführen.
Warum kommen Gewalttaten gegen Ausländer öfter in Ostdeutschland vor?
In Ostdeutschland suchen sich die Banden gerne Ausländer als Hassobjekte aus. Weil es im Verhältnis zu Westdeutschland wesentlich weniger Ausländer gibt, müssen sie zudem kaum den Widerstand beispielsweise von türkischen Jugendbanden fürchten. Sie haben sozusagen freie Bahn. Die Gruppenprozesse sind die gleichen, Jugendbanden in Ostdeutschland können sich bei der Hatz auf Ausländer aber auch auf gesellschaftliche Akzeptanz verlassen.