Regierungsbildung Union und SPD sondieren. Was passiert, wenn daraus nichts wird?

Nach der Bundestagswahl plant die CDU eine Regierungsbildung mit der SPD und führt bereits Gespräche dazu. Kandidaten für Ministerposten kursieren auch schon.
Nach der Bundestagswahl plant die CDU eine Regierungsbildung mit der SPD und führt bereits Gespräche dazu. Kandidaten für Ministerposten kursieren auch schon.
© Christoph Soeder/
Sehen Sie im Video: Minister-Poker von Union und SPD – wer bekommt welchen Posten?
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Eine Große Koalition ist die einzig realistische Koalition. Wenn Union und SPD daran scheitern sollten, blieben nur Neuwahlen. Doch der Weg dahin ist kompliziert und unkalkulierbar.

Ein Gedankenspiel: Es ist der 17. April 2025, Gründonnerstag. Bis Ostern wollte Friedrich Merz eine Regierung bilden. In der Parlamentarischen Gesellschaft setzen sich der Kanzlerkandidat und Lars Klingbeil noch einmal zusammen. Mehrere Stunden dauert die Unterredung. Doch am Ende steht fest: Die Unterschiede zwischen Union und SPD sind nicht zu überbrücken, das gegenseitige Misstrauen ist zu groß. Auch die Appelle von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, das Wahlergebnis zu respektieren, helfen nicht. Es gibt keine Große Koalition.

Und jetzt? Eine Koalition mit der AfD lehnt Merz ab. Auch eine Minderheitsregierung der Union will er nicht anführen, weil sie immer wieder auf die Unterstützung der AfD angewiesen wäre. Alice Weidel und Co. könnten Merz nach Belieben vor sich hertreiben. Und eine rechnerisch mögliche Koalition mit Grünen und Linken ist politisch undenkbar. Also: Neuwahlen. Doch das ist rechtlich, aber auch in der neuen Zusammensetzung des Bundestages leichter gesagt als getan.

Ohne GroKo bliebe Friedrich Merz nur eine Minderheitsregierung 

Seit Freitag sondieren Union und SPD in Berlin. Die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit ist groß. Die internationale Lage und die lahme Wirtschaft erfordern eine schnelle Regierungsbildung. Ein Blick auf die Alternativen, die sich bei einem Scheitern der Gespräche auftun, dürfte den Druck noch erhöhen. Denn das Grundgesetz kennt genau genommen kein Scheitern der Regierungsbildung. Neuwahlen sind paradoxerweise nur möglich, wenn vorher ein neuer Kanzler gewählt wird. Der Weg dorthin wäre kompliziert, lang und in seinen politischen Folgen unkalkulierbar.

Und wie genau sähe er aus?

Zurück ins Gedankenspiel: Im Kanzleramt sitzt an diesem Osterwochenende des Scheiterns noch immer Olaf Scholz. Er hat mit seiner Vertrauensfrage im Dezember den Weg für vorgezogene Bundestagswahlen eröffnet. Das geht diesmal nicht. Denn seit der Konstituierung des neuen Bundestages am 25. März ist Scholz nur noch geschäftsführend im Amt. Dem neuen Parlament kann er nicht die Vertrauensfrage stellen, weil es nicht mehr der Bundestag ist, von dessen Abgeordneten er einst gewählt wurde.

Nun richten sich alle Blicke auf Frank-Walter Steinmeier. Nach Artikel 63 des Grundgesetzes schlägt der Bundespräsident dem Parlament einen Regierungschef zur Wahl vor – normalerweise, wenn sich mehrere Parteien auf eine Koalition mit absoluter Mehrheit und einen Kanzler verständigt haben. Ist dies nicht der Fall, so wie seit Gründonnerstag, steht es im Ermessen des Staatsoberhaupts, einen eigenen Vorschlag zu machen. Eine Frist muss er nicht einhalten, aber wenn alles blockiert ist, muss er handeln. 

Um die Blockade zu lösen, würde Steinmeier wohl nach Artikel 63 Grundgesetz Friedrich Merz als Chef der stärksten Fraktion für die Wahl zum Kanzler vorschlagen. Im ersten, gegebenenfalls auch im zweiten Wahlgang, der spätestens nach weiteren 14 Tagen stattfinden müsste, bräuchte Merz die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, also 316 Stimmen. Die Union hat aber nur 208. Sollte Merz in geheimer Abstimmung dennoch die absolute Mehrheit erzielen, muss Steinmeier ihn ernennen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Eine solche Mehrheit ist durchaus denkbar. Denn womöglich könnte Merz ungewollt mit Stimmen der 152 AfD-Abgeordneten rechnen. Um zu verhindern, auf diese Weise zum Kanzler von Weidels Gnaden gewählt zu werden, dürften die Unions-Abgeordneten schlimmstenfalls nicht für ihren eigenen Kandidaten stimmen, müssten sich also enthalten. Es wäre eine politische Absurdität.

Im dritten Wahlgang wird es nun besonders kompliziert. Gewinnt Merz mit absoluter Mehrheit, muss ihn der Bundespräsident ernennen. Gewinnt er nur mit einfacher Mehrheit, kann Steinmeier ihn ernennen – oder den Bundestag auflösen und Neuwahlen ansetzen. Das ist das Nadelöhr. Für die Union stellte sich also im dritten Wahlgang das Problem, dass sie Merz wählen müsste, um ihm eine einfache Mehrheit zu verschaffen. Sie ginge damit aber auch das Risiko ein, dass ihm die AfD zu einer absoluten Mehrheit verhelfen könnte. Dann bliebe nur noch, dass Merz, kaum ernannt und vereidigt, sofort wieder die Vertrauensfrage stellt – um sie zu verlieren.  

Ermüdet vom Politik-Mikado

Die Frage ist, wer könnte an einem solchen Schlamassel ein Interesse haben? Union und SPD würden sich gegenseitig für das Scheitern einer gemeinsamen Regierung verantwortlich machen. Wäre die schwarz-rote Koalition zum Beispiel an Forderungen der Union in der Migrationsfrage gescheitert, könnte Merz darauf setzen, mit dem Thema in einem neuerlichen Wahlkampf zu punkten. 

Die SPD wiederum könnte versucht sein, mit Boris Pistorius den populärsten Politiker des Landes doch noch als Kanzlerkandidaten aufzustellen und ihr verheerendes Ergebnis mit Olaf Scholz vergessen zu machen. Bliebe die Frage, ob Union und SPD damit auch den Stimmenanteil der AfD verringern könnten – oder ob die vom Polit-Mikado ermüdeten Bürger in noch größerer Zahl die AfD wählen würden. Letzteres wäre wohl eher zu befürchten.

Im Gedankenspiel ist es deshalb am wahrscheinlichsten, dass sich Union und SPD trotz des Scheiterns am Gründonnerstag am Dienstag nach Ostern wieder zusammensetzen. 

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