Hamburger Bürgerschaft Schills Amoklauf

Vom erfolgreichen Politiker ist nach seiner Absetzung als Hamburger Landeschef nicht mehr viel übrig. Ronald Schill droht ins Bodenlose zu stürzen. Selbst frühere Parteifreunde kehren ihrem Gründer nun den Rücken zu.

Ronald Schill droht ins Bodenlose zu stürzen. Bis Dienstag konnte er sich noch als mächtiger Mann fühlen: Mit Drohungen, die Regierungsmehrheit zu kippen, zwang der 45-Jährige den Hamburger Senat in die Knie. Doch nach seinem politischen Amoklauf findet der Selbstdarsteller keine Bühne mehr. "Jetzt ist Schill endgültig politisch tot", glaubt sein Bürgerschafts-Fraktionschef Norbert Frühauf.

Selbst viele Getreue in der Partei wenden sich von ihm ab: "Schill hat mit seinem Verhalten viele Leute vor Weihnachten ins Unglück gestürzt. Ich werde mit Herrn Schill keine Politik mehr betreiben", ist sein einstiger Intimus, Wolfgang Barth-Völkel, maßlos enttäuscht.

Verbitterte "Ronald-Fans"

Auch andere einstige "Ronald-Fans" aus der Bürgerschaftsfraktion sind verbittert. Wie Barth-Völkel erwägt Schills frühere Lebenspartnerin Katrin Freund, ganz aus der Politik auszusteigen. Am Freitag müssen sich die Schill-Abgeordneten endgültig bekennen. Die Fraktion stimmt über den Ausschluss des Parteigründers ab. "Er hat höchstens noch drei Anhänger. Ob er die noch bei der Stange halten kann?", zweifelt Frühauf.

Der tiefe Fall des Populisten, der seine Partei bei den Bürgerschaftswahlen vor gut zwei Jahren aus dem Stand auf 19,4 Prozent brachte, begann Mitte August. Im Tauziehen um die Entlassung seines Staatsrates hatte der damalige Innensenator offensichtlich versucht, Bürgermeister Ole von Beust (CDU) mit dessen Homosexualität zu erpressen. Beust setzte ihn vor die Tür.

Nach einer mehrwöchigen Pause startete Schill vor knapp zwei Wochen einen Rachefeldzug gegen Beust und "illoyale" einstige Parteifreunde. Schill - von Natur aus misstrauisch - ist davon überzeugt, dass er Opfer eines Komplotts des Bürgermeisters mit seinem Nachfolger als Innensenator, Dirk Nockemann, wurde.

"Ritt auf der Rasierklinge"

Vor zwei Wochen wurde in seiner Vorstellungswelt auch der Bundeschef, ehrgeizige Senator und Zweite Bürgermeister Mario Mettbach, zum "Verräter". Nach Schills Ausfällen gegen Beust und den Senat entschied sich Mettbach für den "Ritt auf der Rasierklinge" und startete die Entmachtung des Parteigründers. Seitdem tobt in der Partei ein erbitterter Machtkampf.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Am Dienstag und Mittwoch saß Schill meist allein in seiner Wohnung. Journalisten erwischen ihn nur selten am Telefon. "Die Ereignisse haben mich tief traurig gemacht", erklärte er der dpa. Einer der lauernden Fotografen lichtete ihn bei der Rückkehr vom Einkaufen ab: mit Plastiktüte und erschöpft wirkend.

"Er scheint mir hilflos. Aber vielleicht will er nochmal einen Coup landen", meinte ein einstiger Vertrauter. Dass es Schill gelingt, wie angedroht eine eigene Partei oder wenigstens eine Wählerinitiative zu gründen, wird immer fraglicher. Mettbach, Nockemann, Frühauf sowie Umweltsenator Peter Rehaag wollen jedenfalls gemeinsam Wahlkampf machen - für eine Schill-Partei ohne Schill. Ob sie den Wiedereinzug ins Rathaus schafft, ist offen.

Trübe Zukunftsaussichten

Auch die beruflichen Zukunftsaussichten Schills sind eher trübe. Amtsrichter will er nicht mehr werden und einen "Job in der Wirtschaft", mit dem er geliebäugelt hatte, scheint nicht in Sicht.

Bis Juni kommenden Jahres braucht er sich wohl wenigstens keine finanziellen Sorgen zu machen. Zwar schlugen erboste Abgeordnete vor, ihm sein Übergangsgeld von 12 700 Euro monatlich zu streichen. Das sei rechtlich zu kompliziert. Man wolle die Sache lieber auf sich beruhen lassen, hieß es bisher aus der Senatskanzlei.

DPA
Jörg Fischer