Es gibt einen Mann, der am Hessen-Chaos momentan seine helle Freude hat. Jemand, der nichts mehr zu verlieren hat, und deswegen eigentlich nur gewinnen kann. Ein Mann, der sich selbst ins Abseits geschossen hat, und sich dort momentan sehr wohl fühlen dürfte. Die brachial hustende SPD hat ihn aus der öffentlichen Wahrnehmung fast verdrängt, den immer noch amtierenden Regierungschef. Sein Name: Roland Koch.
Koch am Boden, Ypsilanti heult
Wiesbaden, vor sechs Wochen. Die Jusos skandieren: "Koch ist weg, Koch ist weg". Dann steigt Andrea Ypsilanti aufs Podium des SPD-Fraktionssaals, strahlt ein selbstbewusstes Siegerlächeln und verkündet ihren Wahlsieg. Ministerpräsident Roland Koch dagegen muss einige Zimmer weiter, blass vor Enttäuschung, seine Niederlage eingestehen. Er hatte sein Wahlziel nicht erreicht. Schlimmer noch: Der CDU-Spitzenkandidat bescherte seinem Landesverband mit einem äußerst fragwürdigen Wahlkampf den zweitschwersten Stimmenverlust seiner Geschichte. Bildlich gesprochen: Koch lag am Boden.
Und eigentlich hat der Eschborner Polarisierungspolitiker nicht anderes gemacht als in Meditationsstarre am Boden liegen zu bleiben. Von dort aus hatte er die beste Aussicht auf das, was danach folgte. Noch am Wahlabend brach Ypsilanti in Tränen aus, weil die SPD ausgerechnet in ihrem eigenen Wahlkreis die entscheidenden Stimmen verlor, um die Christdemokraten als stärkste Partei in Hessen abzulösen. Gemäß früherer Ankündigungen erklärte die FDP am folgenden Tag eilig, dass sie nicht mit der SPD koalieren wolle - und blieb dabei. Der Spitzenkandidat der Liberalen, Jörg-Uwe Hahn, gab trotz innigster Avancen keinen Millimeter nach und zerstörte damit sämtliche sozialdemokratische Ampelträume.
Des einen Leid, des Koches Freud
Mit der CDU wollte Ypsilanti nicht. Schließlich schielte sie mit dem Segen von Kurt Beck nach links - und bekam schon wieder eine Abfuhr, diesmal von der SPD-Abgeordneten Dagmar Metzger. Die tat eigentlich nichts anderes, als auf die eigenen Wahlversprechen zu pochen. Dann sollte Metzger dafür vom eigenen Parteivorstand auch noch abgestraft werden, doch auch ihr Stellvertreter als Wahlkreisabgeordneter deutete an, dass er nicht so einfach mit der Linken kooperieren wolle. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil musste Ypsilanti nun die rote Karte zeigen. Dumm gelaufen.
Sollte Koch immer noch am Boden liegen, dann krümmt er sich dort mittlerweile vor Lachen. Das Chaos in der SPD und die offensichtliche organisatorische Unfähigkeit Ypsilantis bringen den immer noch amtierenden Ministerpräsidenten in die bestmögliche Situation. Er schaut einfach dabei zu, wie die SPD ihren beachtlichen Wahlerfolg binnen Wochen verjuxt. Nicht, dass ihm das selbst in eine bessere Machtposition in Hessen brächte. Aber er hat nun die Chance, aus dem Wahldebakel unbeschädigter heraus zu kommen, als viele zunächst vermuteten.
Der Scharfmacher bleibt ruhig - und im Amt
Bis vor drei Wochen sah sich Koch nämlich heftiger interner Kritik ausgesetzt. Die Basis meuterte - und das schon während des Wahlkampfs. Die Beteiligung von Ortsfunktionären und einfachen CDU-Mitgliedern an der Anti-Ausländerkriminalitätskampagne war nach stern.de-Informationen viel niedriger, als ursprünglich von der Parteizentrale eingeplant. Nach dem enttäuschenden Wahlergebnis meldeten sich dann auch noch Kritiker zu Wort, die auf Parteiversammlungen einige wichtige Reformprojekte der Ära Koch infrage stellten - zum Beispiel die Einführung von Studiengebühren. In die Parteispitze reichte der Widerstand jedoch nicht - was den Umstand erklärt, das Koch immer noch Ministerpräsident und Landesverbandschef ist. Während dieser Zeit äußerte sich Hessens oberster Christdemokrat kaum in der Öffentlichkeit. Wenn die Hessen-CDU austeilte, dann übernahm Generalsekretär Michael Boddenberg die Arbeit.

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Koch bewahrte sich eine bemerkenswerte Ruhe gegenüber den Ereignissen, die vor der Tür seiner Staatskanzlei stattfanden. Erst am Freitag hatte er wieder einen Auftritt, kurz nachdem Andrea Ypsilanti ihre Niederlage erstmals eingestanden hatte. Essenz seines Statements: Erstmal werdet ihr mich nicht los. Koch berief sich auf Paragraph 113 der hessischen Verfassung. Sollte kein anderer Kandidat zum Ministerpräsidenten gewählt werden, bleibt der alte im Amt.
Das Kettensägenmassaker von Wiesbaden
Das wird freilich nicht lange gut gehen. Im Landtag haben die linken Parteien eine Mehrheit, und Koch könnte von ihnen gezwungen werden, seine eigenen Gesetze zurück zu nehmen. Realistisch gesehen muss die CDU deshalb bald selbst die Regierungsbildung übernehmen. Der Name Koch fällt im Zusammenhang mit dem dabei zu wählenden Ministerpräsidenten allerdings relativ selten. Favorit bei den hessischen CDU-Abgeordneten ist wohl derzeit Innenminister Volker Bouffier. Die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth genießt zwar bei einigen Bundespolitikern ein hohes Ansehen, doch in der Landtagsfraktion gibt es massive Aversionen gegen die gebürtige Bremerin. Sie gilt vielen als zu liberal und allzu "präsidentiell" in ihrem Auftreten. Ein CDU-Funktionär dazu: "Eher wird Dick Cheney UN-Generalsekretär".
Und Koch? Man munkelt, dass er entweder schon im Herbst oder spätestens im nächsten Jahr nach Brüssel gehen könnte. Als EU-Kommissar könnte er dort seine Karriere in Würde beenden. Ohne von einer meuternden Basis gestürzt worden zu sein, und ohne dass seine Kontrahentin Andrea Ypsilanti ihn jemals aus der Staatskanzlei hätte hinaus jagen können. Und wer weiß? Wenn die SPD weiterhin daran arbeitet, das christdemokratische Wahldesaster vergessen zu machen, dann werden die Karten womöglich noch einmal ganz neu gemischt. Damit wäre Koch nach all den Nackenschlägen im Januar einer der wenigen Sieger im großen politischen Kettensägenmassaker von Wiesbaden.