Interview "Anti-Amerikanismus ist dumm, Arbeitsteilung ist klug"

Nach dem 11. September 2001 haben die USA ihre Vorherrschaft ausgedehnt, US-Truppen stehen jetzt in Afghanistan oder im Irak. Wie Europa und Deutschland auf die Hypermacht reagieren sollten, beschreibt Egon Bahr in seinem neuen Buch "Der deutsche Weg".

Herr Bahr, kann Amerika seinen Kampf gegen den Terror gewinnen?

Das hoffe ich. Denn Präsident Bush meint es ernst damit, der Welt Frieden mit Waffengewalt zu bringen, nachdem Gott Amerika diese Macht gegeben hat.

Wie lange wird sein Feldzug dauern?

Dass kann so lange wie der Kalte Krieg dauern – das heißt jedenfalls sehr lange.

Haben die USA den 11.September genutzt, um ihre Vorherrschaft zu festigen?

Amerika wurde durch den 11. September tief verwundet. Die USA haben es aber auch verstanden, ihn zur Machterweiterung zu nutzen. Die Militärstrategie, die Amerika jetzt verfolgt, wurde schon vor dem 11. September ausgedacht.

Sind die USA im Irak nicht gescheitert?

Amerika hat im Irak militärisch brillant gesiegt, schafft es aber nicht, Stabilität herzustellen. Die USA könnten erleben, dass sie zum zweiten Mal in ihrer Geschichte einen Krieg verlieren – wie in Vietnam.

Zur Person

Egon Bahr, geboren 1922, ist immer wieder als politischer Visionär und unorthodoxer Vordenker seiner Partei, der SPD, hervorgetreten. In seiner Tutzinger Rede formulierte er am 15. Juli 1963 das Prinzip “Wandel durch Annäherung” als Zielsetzung für die deutsche Ostpolitik. Unter Bundeskanzler Willy Brandt nahm Bahr 1970 in Moskau die ersten Verhandlungen über einen Gewaltverzichtsvertrag mit der UdSSR auf. Mit der DDR handelte Bahr Anfang der 70er Jahre den Grundlagenvertrag aus, der bessere Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten zum Ziel hatte. 1972 wurde Bahr Bundesminister für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt, 1974 wurde er Entwicklungshilfeminister. 1976 bis 1981 war er SPD-Bundesgeschäftsführer. 1984 bis 1994 leitete er das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Bahr ist Ehrenbürger seiner Heimatstadt Berlin.

Egon Bahr: "Der deutsche Weg. Selbstverständlich und normal." Blessing Verlag, München 2003

Was können wir den USA entgegensetzen?

Warum sollten wir? Militärisch sind die USA uneinholbar überlegen. Europa muss sich darauf konzentrieren, Gewalt zu verhindern, präventiv diplomatisch zu handeln und Verträge zu schließen, die den USA nichts von ihrer militärischen Macht nehmen. Anti-Amerikanismus ist dumm, eine Arbeitsteilung ist klug: Europa sorgt durch Diplomatie dafür, dass ein Schurkenstaat sich nicht mehr schurkisch verhält. Damit ersparen wir Amerika einen Krieg. Und wenn wir scheitern, kann Amerika immer noch kämpfen.

Wie sieht der deutsche Weg aus?

Natürlicher Stolz ohne Überheblichkeit. Wir Deutschen haben im Vergleich zu unseren europäischen Partnern eine Singularität: den Artikel 26 des Grundgesetzes, der die Beteiligung Deutschlands an einem illegalen, nicht durch UN-Mandat gedeckten Angriffskrieg verbietet. Diesem Artikel unterliegt jede deutsche Regierung. Er macht unsere Außen- und Sicherheitspolitik berechenbar – ohne dass sich irgendjemand bedroht fühlen muss. Die europäische Zukunft ist wichtiger als die deutsche Vergangenheit.

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Interview: Matthias Weber