Klausurtagung "Sitzt hier schon jemand?"

"Sitzt hier schon jemand?"

Gut geschlafen, Herr Bundeskanzler? "Immer", antwortet Gerhard Schröder, scheinbar bestens gelaunt. Nicht nur der Regierungschef, sondern fast alle Mitglieder seines Kabinetts geben sich am Samstagmorgen auf Schloss Hardenberg betont locker und lässig. Sie kommen zur Fortsetzung der Reform- und Haushaltsklausur in T-Shirts, Hemden und anderer legerer Kleidung, dafür aber ohne Krawatten, steife Anzüge oder dezente Kostüme.

Nur Fischer erscheint im Nadelstreifen

Nur Joschka Fischer, der Vizekanzler und Außenminister, erscheint im Nadelstreifenanzug. Er ist einer der letzten, der den Saal betritt. Er darf neben Schröder sitzen, auf dem Platz, um den Hans Eichel umsonst nachfragt. "Sitzt hier schon jemand?", sagt der Finanzminister etwas schüchtern. Dann begreift er, dass der Stuhl schon vergeben ist. Zugleich ruft Verkehrsminister Manfred Stolpe dem Kassenwart zu: "Komm hierher!" Eichel nimmt das Angebot an und setzt sich zwischen Stolpe und Peter Struck, der in Schröders Truppe für Verteidigung zuständig ist.

Eichels Hose ist etwas zu kurz

Eichel hat auch Freizeitkleidung angelegt. Selbst hier scheint er zu sparen. Seine Hose ist etwas zu kurz. Der Minister wird seinem Ruf als Aktenfresser gerecht. Er ist einer der ganz wenigen Teilnehmer, die mit Akten unterm Arm erscheinen. Kaum sitzt er am Tisch, liest er eifrig darin. Sein Gesicht wirkt konzentriert, manchmal auch verbissen. Die anderen Minister lassen die Sache eher locker angehen. Nach Eichel kommt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die auf der Klausur erklären soll, wo sie in ihrem Budget zwei Milliarden Euro sparen soll. Denn nach wie vor ist nicht sicher, an welcher Stelle konkret die Rentner zum Stopfen der Haushaltslöcher beitragen sollen. Eichel sieht nicht zu ihr rüber, sondern weiter in seine Papiere.

Witzig, die beiden Renates

Kurz nach Mittag - die Sonne strahlt dazu - treten Verbraucherministerin Renate Künast und Familienministerin Renate Schmidt vor die zahlreichen Journalisten, um einen Zwischenbericht abzugeben. Auch ihre Laune passt zum Wetter. Beide seien zur Unterrichtung der Öffentlichkeit auserkoren worden, weil "wir die gleichen Vornamen haben", meint Schmidt. "Das halte ich aber für ein Gerücht", kontert Künast.

Klasur bald Tradition?

Irgendwann fragt ein Reporter, ob die Veranstaltung eher Urlaub sei. "Weil wir keine mausgrauen Anzüge anhaben, heißt das nicht, dass wir hier keine Arbeit leisten", klärt Künast die Journalistenmeute auf. Dann verkündet sie, dass "die Philosophie des Haushalts", sich mehr auf innovative statt auf konsumptive Ausgaben zu konzentrieren, gebilligt worden sei. Zum Vorziehen der Steuerreformstufe 2005 auf 2004 sagte sie nichts. Künast macht die Klausur offenkundig Spaß. Sie plädiert dafür, es zur Tradition werden zu lassen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Showdown am Sonntag

Der Showdown ist für Sonntag geplant. Gegen Mittag wird Bundeskanzler Schröder der Öffentlichkeit höchstwahrscheinlich eine zusätzliche Steuerentlastung von 18 Milliarden Euro im kommenden Jahr verkünden. Zur Begründung dürfte er erklären, dass Deutschland als wichtigste Volkswirtschaft in Europa seiner Verantwortung für die Konjunktur auf dem gesamten Kontinent nachkommen müsse. Rückendeckung für dieses Strategie holte er sich dafür von einem Gast aus dem Ausland. Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker riet Deutschland, den Reformprozess fortzusetzen, das Jammern sein zu lassen und für Wachstumsimpulse zu sorgen. Juncker ist Christdemokrat. Die Union hat im Bundesrat die Mehrheit. Sie kann das Vorziehen der Stufe zu Fall bringen.

DPA
Thomas Schmoll