Nach dem Rücktritt von SPD-Chef Franz Müntefering war der Stoiber-Rückzug der zweite Paukenschlag der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und der SPD. Als Grund hatte Stoiber offiziell angegeben, dass für ihn mit dem Schritt von Müntefering eine neue Lage entstanden sei. Der Bayer wurde für seine wankelmütige Entscheidung scharf kritisiert - sowohl in den eigenen Reihen als auch vom politischen Gegner.
Hinter der vorgeschobenen Begründung für seinen überraschenden Schritt dürften wohl andere Faktoren eine Rolle gespielt haben. Zwischen Stoiber und Merkel war es zu starken Spannungen gekommen. Aus der CSU hieß es schon vor der SPD-Krise wiederholt, Stoiber drohe damit, in München zu bleiben, weil er sich von der CDU nicht angemessen behandelt fühle. Zwischen Stoiber und der designierten Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) gab es während der Verhandlungen Streit über den Ressortzuschnitt des künftigen Wirtschaftsministeriums. Stoiber verübelte Merkel, dass sie nicht energisch für ihn Partei ergriffen hatte. Das Verhältnis der beiden galt schon immer als schwierig. In der CDU war wiederholt darauf verwiesen worden, dass sich Stoiber im Wahlkampf nicht loyal zu Merkel verhalten hätte. Als besonderen Affront gegen die designierte Kanzlerin wurde Stoibers Zweifel an der Richtlinien-Kompetenz von Merkel in einer großen Koalition gewertet. Die Bundestagsfraktion hatte Merkel später in diesem Punkt im Beisein Stoibers Rückendeckung gegeben.