Kommentar Gemurre am Throne Lafontaines

Er hielt eine brillante Rede, er stürmte die Halle - dennoch kassierte Oskar Lafontaine auf dem Parteitag der Linken in Cottbus einen fetten Denkzettel: Er wurde mit nur 78,5 Prozent der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt. Warum?

Panik in der Parteitagsregie. Eigentlich sollten Oskar Lafontaine und Lothar Bisky um 16 Uhr gewählt werden. Natürlich mit Traumergebnissen, natürlich mit großem Jubel. Die Bilder sollten bei den Fernsehsendern rechtzeitig vor den Abendnachrichten eintreffen. Aber dann ziehen sich die Abstimmungen über den Leitantrag der Linkspartei in die Länge. Es wird 16 Uhr, 17 Uhr, 18 Uhr, um 19.20 Uhr fragt die Pressesprecherin besorgt: "Schaffen wir es noch in die Tagesschau?" Ein Parteikollege flachst: "Vielleicht in die Tagesthemen". Die Pressesprecherin findet das nicht komisch. Endlich die Wahl. Um Lafontaine und Bisky, die in der ersten Reihe der rot ausgeschlagenen Cottbusser Messehalle sitzen, bildet sich ein riesiges Knäuel. Menschen, Mikrophone, Kameras. Wetten machen die Runde. Schafft Lafo ein DDR-Ergebnis? Vielleicht nicht 99,9 Prozent, aber doch mehr als 90 Prozent? Seine Rede am Vormittag war brillant, er hatte die Halle gerockt. Oskar, der König der Linkspartei. Gespannte Gesichter. Endlich gibt der Wahlleiter das Ergebnis bekannt: 81,3 Prozent für Bisky. Okay. 78,5 Prozent für Lafontaine. Nicht okay. Das sind fast zehn Prozent weniger als vor einem Jahr. Ein fetter Denkzettel.

"Ich bin zufrieden", sagt ein halbgar gelaunter Lafontaine nach der Wahl zu stern.de. Weil er weiß, dass ihm das niemand glaubt, setzt er noch hinzu: "Ich kenne die Mechanismen auf Parteitagen." Welche das sind, mag er nicht sagen. Sein Wahlvolk ist offener. "Es ist Angst", sagt Volkmar Wölk, Delegierter aus Sachsen. Vielen sei Lafontaine bereits zu mächtig. Vor allem den Ostdeutschen. Sie sähen es skeptisch, dass die Wessis, allen voran Lafontaine, die zentralen Positionen besetzten. "Wir sind noch eine junge Partei", sagt Wölk, "die Situation ist fragil." Eine Kollegin aus Wölks sächsischem Landesverband sagt noch zwei Sätze zu Lafos Führungsstil. Jeder weiß: Bisky ist der Harmoniesüchtige. Lafo lässt auch mal den Oberchef raushängen. "Ich glaube, er ist auch für seine Frau abgestraft worden", sagt Wölk. Christa Müller ist familienpolitische Sprecherin des saarländischen Landesverbandes und proklamiert stramm konservative Ansichten: Mutti soll zuhause bleiben und sich um die Kinder kümmern. Gleich sechs Anträge des Parteitags befassen sich mit ihr. Der Ton ist harsch. "Wir sind entsetzt über die familienpolitischen Äußerungen der saarländischen Links-Politikerin Christa Müller", heißt es in Antrag P.01. Antrag P.03 fordert sie umstandslos zum Rücktritt auf. In Interviews vor dem Parteitag hatte Müller die Unterbringung von Kindern in Kitas mit der Beschneidung von Mädchen verglichen. Beides verursache traumatische Erfahrungen. Intellektuell ist Müller für die Linke eine traumatische Erfahrung.

Last not least hat Lafontaine ein Problem mit den "Realos" der Linkspartei, die sich zum Beispiel im "Forum demokratischer Sozialismus" sammeln. Lafontaine ist Populist, Demagoge, ein Mann, der Protest formulieren kann. Die Niederungen der Regierungsarbeit sind in seinem Konzept nicht zwingend vorgesehen. Tausende Parteimitglieder sehen das anders. Sie wollen regieren, vorzugsweise mit der SPD. Sie bemühen sich um Kontakte, suchen Gemeinsamkeiten. Lafontaines Feldzug gegen seine alte Partei wird dort kritisch beäugt. 78,5 Prozent. Lafontaine geht auf die Bühne, bekommt den obligatorischen Blumenstrauß, für die Tagesschau hat es zeitlich gerade noch gereicht. Für die geplante Jubelbotschaft nicht. Wir brauchen Lafontaine, bedeutet das Ergebnis. Aber wohin steuert er uns?

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