Lähmende Erschöpfung, Gedächtnisprobleme, Organschäden: Zahlreiche Menschen leiden unter den Langzeitfolgen einer Corona-Infektion. Sie sollen künftig mehr Unterstützung von Seiten der Bundesregierung bekommen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stellte am Mittwoch in Berlin das erste Programm des Bundes vor, das Long-Covid-Kranken zu mehr Informationen und besseren Versorgungsangeboten verhelfen soll. "Wir haben hier eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe vor uns", sagte Lauterbach.
Der Minister zeichnete ein pessimistisches Bild der aktuellen Lage im Bereich Long Covid. "Die Lage ist schlechter, als wir uns das erhofft hatten noch vor einem halben Jahr", sagte er. Er sei "überrascht und enttäuscht", dass die Behandlung von Long Covid nicht die erhofften Fortschritte gemacht habe. In vielen Fällen sei die Aussicht auf Heilung ungewiss.
Drei-Punkte-Plan gegen Long Covid
"Für die Menschen mit Long Covid ist die Pandemie leider noch lange nicht beendet", sagte Lauterbach. Aktuelle Erkenntnisse deuteten darauf hin, "dass viele Betroffene wahrscheinlich dauerhaft betroffen sein werden". Leider gebe es "noch keine Therapiekonzepte, die durchschlagen". Zudem sei zu befürchten, dass die Zahl der Long-Covid-Erkrankten weiter ansteige.
Die Immunologie-Professorin Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité warnte bei der gemeinsamen Pressekonferenz vor einer weiter steigenden Zahl der Fälle. "Mit Long Covid stehen wir jetzt vor einer neuen Dimension", sagte sie. "Manche Menschen sind zwei bis drei Jahre schwer krank." Der Direktor der Uniklinik Marburg, Bernhard Schieffer, wies auf die volkswirtschaftlichen Folgekosten hin: "Die ökonomischen Auswirkungen von Post-Covid sind destaströs."
Lauterbachs Long-Covid-Programm umfasst drei Punkte. Sein Ministerium schaltete am Mittwoch eine Internetseite frei (www.bmg-longcovid.de), das Informationen zu dem Thema bündelt – zu Beratungs- und Unterstützungsangeboten, zu spezialisierten Kliniken und Praxen und zum aktuellen Stand der Forschung. Erkrankte, Ärzte, Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen hier ein jeweils auf sie zugeschnittenes Info-Angebot bekommen.
Der zweite Punkt: Lauterbachs Ministerium will die wissenschaftliche Versorgungsforschung zu Long Covid finanziell fördern. Zunächst sollten dafür 41 Millionen Euro bereitgestellt werden. Lauterbach räumte ein, dass er sich dafür zunächst ein Finanzvolumen von 100 Millionen Euro gewünscht hätte. "Wenn die Haushaltslage sich verbessert, werden wir versuchen, die 100 Millionen zusammenzubringen", sagte Lauterbach. Der Minister kritisierte, dass die Pharmaindustrie bislang zu wenig an Long-Covid-Behandlungen forsche.
Long Covid Symptome: Welche Corona-Spätfolgen im Körper am häufigsten auftreten

Dritter Teil des Pakets ist die Einberufung eines Runden Tisches, der Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen vom Thema betroffenen Gruppen zu einem Runden Tisch zusammenbringt. Inhalt soll der Austausch über den Umgang mit Long Covid sein. Die erste Sitzung sei für den 12. September geplant, sagte Lauterbach.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Lauterbach rechnet mit mehr Betroffenen
Der Minister äußerte die Befürchtung, dass sich Long-Covid-Erkrankungen noch weiter ausbreiten werden. Schätzungsweise entwickelten zwischen sechs und 14 Prozent der Infizierten einschlägige Symptome – bei Geimpften dürfte die Quote etwas niedriger liegen. "Wir müssen davon ausgehen, dass viele noch an Long Covid erkranken werden", sagte er.
Das medizinische Bild sei uneinheitlich: Manche Betroffene seien nach der ersten Corona-Infektion von Long Covid betroffen, andere erst nach einer Folgeinfektion, sagte Lauterbach. Manche litten dauerhaft unter den Symptomen, bei anderen sei Long Covid nur eine Episode – auch bei ihnen könnten die Long-Covid-Symptome nach einer Phase der Genesung wieder zurückkehren und sich in manchen Fällen sogar verstärken.
Die Immunologin Scheibenbogen mahnte mehr Forschung und medizinische Studien zum Thema Long Covid an. "Die Ärzte haben bis heute wenig Wissen, wie man diese Erkrankung behandelt", sagte sie. Die nun bereitgestellten 41 Millionen Euro könnten "nur ein Anfang sein", betonte Scheibenbogen. "Heilen können wir insbesondere die schwer Kranken damit nicht." Es gebe bis heute keine zugelassenen Medikamente.
Das neue Informationsangebot des Bundesgesundheitsministeriums richtet sich ausdrücklich auch an Menschen, die unter den Folgeschäden einer Corona-Impfung litten. Der Marburger Klinikchef Schieffer warnte davor, diese Fälle zu stigmatisieren. "Wir dürfen nicht die Augen verschließen vor Dingen, die uns unangenehm sind", sagte er. Dazu zähle das Auftreten von Impfschäden durch Corona-Vakzine.