Drei Euro? Vier Euro? 25 Euro? Oder doch eher 67 Cent? Wie hoch ist Ihr Stundenlohn? Ab wann würden Sie's einfacht nicht mehr machen? Ab welcher Grenze wäre Ihnen die Arbeitslosigkeit lieber als ein hundsmiserabler bezahlter Job? Oder, andersherum gefragt: Wie viel muss man hierzulande in der Stunde mindestens verdienen, so dass ein Job noch als menschenwürdig bezeichnet werden kann?
Debatte voll entbrannt
Wie hältst Du's mit dem Mindestlohn? In Deutschland ist eine Debatte über Sinn und Zweck eines gesetzlich festgelegten Lohn-Minimums entbrannt. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob der Bundestag von oben festlegen soll, dass jeder Arbeiter - von der sächsischen Friseurin bis zum schwäbischen Maurer - branchenübergreifend darauf bestehen kann, in der Stunde mindestens so und so viel zu verdienen. Und es geht darum, ob so ein Gesetz der Beschäftigung eher schadet als nutzt, ob es Firmen-Chefs vergrault oder gar die Macht der Gewerkschaften aushöhlt. Und es geht natürlich um die entscheidende Frage, wie hoch denn dieser Mindestlohn am Ende liegen soll.
Deutschland im internationalen Vergleich
Am Dienstag nun haben die Forscher des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung einen weiteren Beitrag zu der unter Volkswirten, Politikern und Gewerkschaftern hitzig geführten Diskussion geliefert. In einer Studie, die die WSI-Forscher in Berlin vorstellten, haben sie die Erfahrungen europäischer Länder und der USA mit Mindestlöhnen untersucht und daraus Schlussfolgerungen für Deutschland gezogen. Dabei sind sie zu eindeutigen Ergebnissen gekommen. Mindestlöhne, so argumentierten einige der Autoren am Dienstag in Berlin, haben in anderen Ländern keine Arbeitsplätze zerstört. Im Gegenteil. Sie schützen Arbeitgeber vor Armut und Arbeitnehmer vor schmutziger Konkurrenz durch Super-Dumping-Preise.
18 von 25 EU-Staaten mit Mindestlohn
Die Wissenschaftler machen in Deutschland einen Notstand aus. In 18 von 25 EU-Staaten, so ihr empirisch angereichertes Argument, gebe es derzeit gesetzliche Mindestlöhne, sie schwankten zwischen einer Höhe von 0,67 Euro pro Stunde in Lettland und 8,69 Euro pro Stunde in Luxemburg. In sechs anderen Ländern gebe es entweder starke Gewerkschaften oder andere Mechanismen, die de facto eine sozialverträgliche Mindestvergütung der Arbeitnehmer gewährleisteten. Lediglich in Deutschland klaffe eine Lücke: "Deutschland hat den dereguliertesten Niedriglohnsektor in Europa", sagte Mit-Herausgeber und Autor Thorsten Schulten.
8,10 Euro pro Stunde
Die Schlussfolgerungen der Stiftungs-Wissenschaftler sind eindeutig: Deutschland, so finden die Experten, brauche einen Mindestlohn. Die internationalen Erfahrungen seien ermutigend. "Die Erfahrungen mit gesetzlichen Mindestlöhnen in Europa sind überwiegend positiv", befinden die Wissenschaftler. "Mit der Festlegung einer für alle Arbeitnehmer verbindlichen Untergrenze wird die Einkommenssituation von Geringverdienern deutlich verbessert. Gleichzeitig werden die Betriebe vor Sozialdumping geschützt." Autor Claus Schäfer sprach von einer "doppelte Schutzfunktion" des Mindestlohns für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Zugleich verhindere ein angemessen hoher Mindestlohn, dass der Staat zu hohe Transferleistungen zahlen müsse und die tariflich gewährleisteten Löhne maßgeblich gedrückt würden. Die Kaufkraft der Arbeitnehmer würde gestärkt, die gerade in Deutschland schwächelnde Binnennachfrage würde angekurbelt. Die Höhe des Mindestlohns könne sich etwa an der Pfändungsfreigrenze orientieren, die bei 985 Euro netto liegt. Das würde einen Brutto-Mindestlohn von 8,10 Euro pro Stunde bedeuten.
Gerangel innerhalb der Gewerkschaften
Die Empfehlungen der Düsseldorfer Wissenschaftler sind eindeutig, aber selbst in den eigenen Reihen können sie nicht mit einhelliger Zustimmung rechnen. Selbst unter den Gewerkschaften ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns umstritten. Die IG Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) etwa ist strikt dagegen, die IG Metall ist skeptisch. Die beiden Verbände pochen auf ihre Tariflöhne, sie fürchten, dass ein Mindestlohn die tariflich geregelten Standards drücken und die Tarifautonomie aushöhlen könnte. Sie beharren darauf, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Löhne schon ohne ordnende Hand der Politik regeln können. Andere Gewerkschaften, etwa die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi oder die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) dringen dagegen auf branchenübergreifende, gesetzliche Regelungen.
Verdi hat einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 pro Stunde vorgeschlagen. Die Arbeitgeberverbände lehnen diesen Vorschlag strikt ab, auch in der Union regt sich Widerstand. CSU-Landesgruppen-Chef Peter Ramsauer erteilte dem Vorschlag der Gewerkschaften eine klare Absage, CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla drang auf eine Kombi-Lohn-Lösung. 3,50 Euro bis 4,50 Euro müsse der Unternehmer zahlen, der Staat werde dann noch einmal 2 Euro bis 2,50 drauflegen, schlug er vor. Dabei geht es weniger um die Sicherung von Mindest-Standards als vielmehr um die Schaffung von neuen, staatlich subventionierten Arbeitsplätzen. Die Gewerkschaften fürchten wiederum, dass solche Kombi-Lohn-Modelle den Wert der Arbeit prinzipiell drücken und Menschen gleichsam in einem abgekoppelten Niedriglohnsektor einkerkern. DGB-Chef Michael Sommer hat sich eindeutig gegen eine derartige Variante ausgesprochen. Offen ist noch die Haltung der SPD. Arbeitsminister Franz Müntefering hat angekündigt, spätestens im Herbst einen Vorschlag zur Entlohnung im Niedriglohnsektor vorzulegen. Auf ein Mindestlohn-Modell hat er sich allerdings noch nicht festgelegt.