Noch nicht verwenden: stern.de-Serie Keine Angst vor der Krise

Von Mandy Schünemann
In Deutschland gibt es 1,7 Millionen Beamte, rund 500.000 davon arbeiten als Lehrer. Ihr spezielles Verhältnis zum Staat sichert ihnen den Arbeitsplatz, und auch das Gehalt fließt weiterhin schön auf ihr Konto. Sie sind diejenigen, die nicht um ihren Job bangen müssen. stern.de hat mit Karl-Heinrich Sell, Lehrer an einer Berliner Schule, gesprochen.

Hans-Bredow-Oberschule, Berlin-Mitte. Karl-Heinrich Sell sitzt am Lehrertisch. Mit einem strengen Blick schaut er in die Runde. Sieben Schüler sind an diesem Montag in seinem Mathematik-Kurs anwesend, normalerweise sind es zehn. Erwähnen tut er es nicht. Drei Schwänzer eben, wie immer. Kein Grund zur Aufregung. Dann beginnt er mit dem Unterricht, Prozentrechnung steht auf dem Plan. "Wir hatten über die Wirtschaftskrise gesprochen", sagt er. Die Krise. Ein gutes Thema, um mit den Schülern ein paar neue Übungen zu machen. Immerhin verkauft Porsche fast 30 Prozent weniger Autos. Ein Artikel mit genauen Zahlen wird zur Vorlage dieser Stunde.

Von der Krise unbetroffen

Sonst gibt es zur Krise nichts zu sagen. Im Unterricht halten sich die Lehrer an den Lehrplan, nur ab und zu sprechen sie über die aktuelle Lage. Die Eltern von Sells Schülern haben zumeist einen Beruf in Branchen, die nur gering oder gar nicht betroffen sind. Und auch Sell selbst hat keine Probleme: Als Lehrer mit Beamtenstatus bekommt er auch weiterhin Monat für Monat pünktlich sein Gehalt, sogar in seinem Freundeskreis haben fast alle einen "krisenfesten Job". "Ich habe keine Angst", sagt er. Warum auch.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gibt es 1.710.483 Beamte in Deutschland (Stand: Juni 2007). Wie die Mitgliedsgewerkschaften des Beamtenbundes (dbb) schätzen, sind davon rund 500.000 dem Lehrerbereich zuzuordnen. Insgesamt arbeiten circa 800.000 hauptberufliche Lehrkräfte an deutschen Schulen. Wer Beamter auf Lebenszeit ist, hat vor allem jetzt einen klaren Vorteil: Ein Staatsdiener genießt vollen Kündigungsschutz, auch wenn er dabei dem Disziplinarrecht untersteht. Das Schlimmste, was ihm passieren kann, ist die Versetzung an einen anderen Ort.

Zur Person

Heinrich Sell, 54, ist seit 1980 Lehrer. In der DDR unterrichtete er Englisch und Arbeitslehre an einer polytechnischen Oberschule in Erfurt, wurde aber suspendiert, nachdem er 1984 einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Danach hielt er sich vorübergehend mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Im August 1989 floh er nach West-Berlin und machte dort sein Referendariat. Seit 1996 ist er Beamter auf Lebenszeit, zurzeit lehrt er an der Hans-Bredow-Oberschule in Berlin.

Lehrer in einem Problembezirk

Karl-Heinrich Sell ist das schon passiert. Erst ist seine damalige Schule fusioniert, dann wurde er vor zwei Jahren an die Hans-Bredow-Oberschule geschickt. Umziehen musste er aber nie, immer war sein Arbeitsplatz in Berlin-Mitte. "Es gibt nicht so viele Leute, die freiwillig hier herkommen", begründet er. "Es ist schwer von Mitte rauszukommen, wenn man einmal da war." Warum? Weil dieser Teil der Hauptstadt eine Problemzone ist. Erst Mitte Januar hatten 68 Schulleiter einen Brandbrief losgeschickt, in dem sie feststellten, dass der Bezirk vor dem "bildungspolitischen Aus" steht. Die Gründe: Personalknappheit, mangelnde Ausstattung und die unzureichende Integrationspolitik. Vor allem der Migrantenanteil von 90 Prozent bereite Schwierigkeiten.

An der Hans-Bredow-Oberschule ist das nicht anders. Von den sieben Schülern, die bei Sell im Mathematik-Unterricht sitzen, haben sechs einen Migrantenhintergrund. Ein Großteil wird nur einen Hauptschulabschluss schaffen. Für den 54-jährigen Lehrer ist das aber kein Problem. Er weiß, wie er mit den Jugendlichen umgehen muss. Das beweist sich schon darin, dass er von den Schülern zum Vertrauenslehrer gewählt wurde. Auch seine Art kommt gut bei den Schülern an: Im Klassenzimmer sitzt er locker auf dem Stuhl, manchmal läuft er in aller Ruhe durch die Gänge. Als die 16-jährige Israa eine Aufgabe an der Tafel lösen soll, feuert er sie sogar an: "Israa, du bist klasse, du schaffst es, komm!" Und sie schafft es.

Hart sein, wenn's hart kommt

Doch dann fliegt ein Kreidestück nach vorn. "Ali!", ruft Sell. "Brauchste 'ne Auszeit? Komm, geh raus!" Einen Moment später steht der Jugendliche vor der Tür. Er soll zum "Sofa" gehen, einer zentralen Auffangstation in der Schule. Hier kommen in der Woche gut 60 Schüler zusammen, die von ihren Lehrern aus dem Unterricht geschickt werden. Doch Ali weigert sich. "Ich war das nicht. Ich schwöre, ich war das nicht!" Sell beeindruckt das wenig. Auch seine Mitschüler stehen nicht auf seiner Seite. "Warum lügst du, Ali?", fragen sie. Ali wird erneut rausgeschickt. Als Lehrer kann Sell eben auch hart sein, wenn es sein muss. Ein Fakt, der seinen Schülern Respekt vor ihm verleiht. Nur in einer Sache hat er kein Sagen: Wann der Unterricht endet. Dafür ist die Klingel zuständig.