Nominierung der neuen SPD-Spitze "Das ist Ämterpiraterie"

Einen Brief hat er schon geschrieben, jetzt legt SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer im stern.de-Interview nach: Scharf attackiert er die Nominierung der neuen Parteispitze - und fordert, dass Sigmar Gabriel sich auf dem Parteitag einem Gegenkandidaten stellen müsse.

Herr Scheer, die SPD wechselt ihre Führung komplett aus. Sigmar Gabriel soll neuer Parteichef werden, Andrea Nahles Generalsekretärin. Zudem sind die Positionen der vier neuen stellvertretenden Parteivorsitzenden beschlossen worden. Präsidium und Vorstand der SPD sollen am kommenden Montag absegnen, was ein inoffizieller Kreis beschlossen hat.
Das gab es noch nie in der SPD. Was in den letzten Tagen ablief, ist ein bisher einmaliger Akt der Selbstnominierung einer neuen SPD-Parteiführung durch einen kleinen, von niemandem autorisierten Personenkreis. Überfallartig wurde damit jedwede Willensbildung in der Partei selbst sowie des Präsidiums und des Parteivorstands übergangen. Dies widerspricht allen demokratischen Gepflogenheiten und Regeln.

Ein massiver Vorwurf, den Sie da erheben gegen renommierte Demokraten in der SPD.
Er dürfte von weiten Kreisen der Partei mitgetragen werden. Denn gegen diese Methode der Auswahl eines durchaus umstrittenen Parteivorsitzenden ist die Papstwahl, die sich in einem mehrtägigen Auswahlprozess unter verschiedenen Kandidaten vollzieht, ein radikaldemokratischer Vorgang. Die SPD hat aber den Anspruch, demokratischer organisiert zu sein als die katholische Kirche.

Zur Person:

Hermann Scheer, 65, ist SPD-Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg und Mitglied des SPD-Parteivorstands. Zudem ist er wegen seines Engagements für die Solarenergie mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden. Scheer wird der SPD-Linken zugerechnet, in einem zeitweilig möglich scheinenden Kabinett von Andrea Ypsilanti in Hessen war er für den Posten des Umweltministers im Gespräch. Nach der Bundestagswahl 2009 hat sich Scheer bereits in einem Brief an den Parteivorstand über das Vorgehen bei der Nominierung der neuen SPD-Spitze beschwert.

Franz Müntefering ist immerhin noch amtierende Parteichef.
Umso unglaublicher ist es, dass ausgerechnet Müntefering, der sich so viel auf sein Talent als Parteichef zugute hält, dies energisch mitbetrieben hat. Er war es, der am vergangenen Montag in der letzten Sitzung des SPD-Parteivorstands vorgeschlagen hatte, erst am kommenden Montag über die sachlichen und personellen Konsequenzen aus dem Wahldebakel zu ziehen. Darüber sollte in einer ergebnisoffenen Erörterung auf einer gesonderten Parteivorstandssitzung gesprochen werden. Jetzt lässt er der Partei fixe Verabredungen servieren.

Am Montag könnte man doch immer noch Korrekturen diskutieren.


Der Gipfel dieses eklatanten Vorgangs der Selbstnominierung ist doch, dass dies der Öffentlichkeit nunmehr als feststehende Tatsache verkündet und so auch berichtet wurde. Am Montag sollen dann das Präsidium und der Vorstand dieses Resultat brav abnicken - in der Erwartung, dass der Parteitag im November dasselbe tut. Dieser Vorgang ist prinzipiell untragbar. Es gab keinerlei Grund für ein derartiges Hauruckverfahren, das einer Ämterpiraterie gleichkommt. Denn der Parteitag findet erst in sechs Wochen statt. Und diese Zeit braucht die Partei, um mit ihrer gesamten Basis programmatische und personelle Konsequenzen aus ihrer schweren Wahlniederlage unter Führung von Steinmeier und Müntefering aufgrund einer fairen und offenen Diskussion zu ziehen. Nicht nur im Parteivorstand, sondern auch in Mitgliederversammlungen auf Landesparteitagen und dann auf dem Bundesparteitag.

Diese Meinungsbildung ist für die SPD existentiell so notwendig wie das Salz der Erde, weil die SPD wieder Bodenhaftung in sich selbst und in der Gesellschaft finden muss. Die erfolgte Selbstnominierung ist das krasse Gegenteil. Man sollte eine solche Meinungsbildung im Keim ersticken, zumindest in der personellen Frage. So werden Ämter doch zur Karrierebeute Einzelner.

Was schlagen Sie denn nun vor, um aus dieser schweren internen Krise herauszukommen?
Was die SPD jetzt dringend braucht, ist die freie Wahl des Parteitags über zuvor diskutierte personelle Alternativen, allen voran über den Parteivorsitz. Ich halte es gerade jetzt für elementar geboten, dass es auf dem Bundesparteitag zu einer demokratischen Wahl zwischen personellen Alternativen zum Parteivorsitz kommt. In einer Zeit, in der die SPD nach einem Wort von Willy Brandt mehr Demokratie vor allem für sich selbst wagen sollte, darf sie unter keinen Umständen autokratischen Entscheidungen ausgeliefert werden.

Interview: Hans Peter Schütz

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