Das hat wehgetan, ganz besonders Ingo Wolf. Nur selten zuvor ist ein Minister vom Bundesverfassungsgericht (BVG) so abgewatscht worden, wie der nordrhein-westfälische Innenminister. Zur juristischen Blamage kommt die parteipolitische: Der FDP-Mann Wolf, den man wohl auch einen Pseudoliberalen nennen darf, ist in Karlsruhe vor allem von den bewährten Rechtsstaatsliberalen Gerhart Baum und Burkhart Hirsch vorgeführt worden.
Überraschend kam es nicht, dass das nordrhein-westfälische Gesetz zur Online-Schnüffelei vom Verfassungsgericht förmlich zerfetzt worden ist. Das Kopfschütteln der Richter in den Roten Roben war schon bei der Anhörung zu der Verfassungsklage gegen das hastig zusammen gestümperte Gesetz im vergangenen Herbst unübersehbar gewesen. So nicht! Das musste allen Experten danach klar gewesen sein.
Um so unverständlicher war, dass Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) das sich anbahnende juristische Debakel über den breitflächigen Einsatz von "Bundestrojanern" ignoriert hat. Mehr noch: Er war erkennbar stinksauer, weil ihm dabei klar geworden sein muss, dass er keinen Freibrief für schrankenlose Schnüffelei bekommen würde. Weshalb er dennoch unverdrossen seinen politischen Kleinkrieg gegen die Kabinettskollegin Brigitte Zypries (SPD) fortsetzte, hat niemand verstanden. Die Bundesjustizministerin ist jetzt vom BVG glänzend rehabilitiert worden. Sie hat früher als Schäuble erkannt, dass so leichtfertig die Grundrechte der Verfassung nicht ausgehebelt werden dürfen, wie das sich Schäuble und seine Sicherheitsexperten von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz ausgemalt hatten. Auch sie dürfen sich abgewatscht fühlen. Am kräftigsten im übrigen Schäubles Amtsvorgänger Otto Schily (SPD), der Computer ohne klare Rechtsgrundlage beschnüffeln ließ.
Anzapfen nur bei existentieller Gefährdung
Das Bundesverfassungsgericht hat ein gut ausbalanciertes Urteil formuliert. Darin steckt nicht weniger als die Schaffung eines neuen Grundrechts auf Vertraulichkeit und Integrität bei Nutzung der neuen informationstechnischen Systeme. Heimliche Online-Durchsuchungen verletzen demnach das Persönlichkeitsrecht. Und wenn der Staat schon die Laptops seiner Bürger anzapfen oder mit eingeschleusten Spähsystemen bis in den einzelnen Tastendruck abschöpfen will, dann ist ihm dies nur erlaubt, wenn dem Leben anderer Menschen oder dem Staat eine existentielle Gefährdung droht. Ohne Richtervorbehalt läuft überhaupt nichts: Nicht die Beamten der Sicherheitsbehörden entscheiden über den Computer-Angriff, sondern der zuständige Richter, der entscheiden muss, ob ein wichtiges Rechtsgut tatsächlich in Gefahr und ob diese Gefahr konkret ist oder nur von den Sicherheitsbehörden aufgebauscht wird.
Damit ist der Auswurf flächendeckender Schleppnetze untersagt. Auch bei der Jagd - etwa nach Steuerhinterziehern - ist das Eindringen in die Computer nicht erlaubt. Hinzu kommt eine wichtige Zusatzforderung des höchsten Gerichts: Wenn ein vermeintlich konkreter Verdacht sich bei näherem Hinsehen als nicht belegbar erweist, müssen die ausgespähten Daten unverzüglich vernichtet werden.
Sogar Laptop-User sind geschützt
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist damit erheblich ausgeweitet worden. Denn das Gericht fordert einen umfassenden Systemschutz. Das heißt: Nicht nur sind Artikel 13 des Grundgesetzes (Unverletzlichkeit der Wohnung) und Artikel 10 (Telefongeheimnis) bekräftigt worden, die natürlich durch ungebremste Laptop-Ausspähung ebenfalls ausgehöhlt werden. Der Bereich der neuen Informationstechnologien bleibt auch außerhalb der Wohnung geschützt. Wer also im Café seinen Laptop benutzt, für den gilt ebenfalls, dass er im Normalfall vor dem staatlichen Zugriff auf seinen Computer geschützt ist. Im Umgang mit dem Computer und seinen vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten gilt damit das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Die Benutzer können darauf vertrauen, dass die Daten ihrer Lebensgestaltung geschützt bleiben, ob sie sein Informationssystem zuhause oder mobil (etwa im Auto) nutzen. Ob man digital oder analog arbeitet, spielt dabei keine Rolle. Die Vorgabe des sehr sachkundigen Gerichts ist eindeutig: Der private Lebensraum muss verfassungsrechtlich geschützt bleiben. Der Einsatz auch kommender neuer Technologien bleibt an diese strikte Vorgabe gebunden. Der Personalcomputer ist für die persönliche Lebensgestaltung und für die Persönlichkeitsentfaltung unverzichtbar. Ihm gebührt daher ein via Grundrecht abgesichertes Schutzbedürfnis.

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Es kann jetzt eigentlich nicht länger ein Problem sein, ein praxistaugliches Gesetz zu formulieren und von der Großen Koalition verabschieden zu lassen. Die Richter haben hohe Hürden gesetzt. Das ist gut so. Für den Gesetzgeber sollte dies eine Verpflichtung sein - und nicht der Anlass, irgendwelche Hintertürchen einzubauen, um sie zu unterlaufen. Oder wie Gerhart Baum es schlicht sagt: "Man muss der Angst widerstehen."
Liebe Leser, in der Bildunterschrift hatte sich ein Fehler eingeschlichen. Natürlich beschließt das Bundesverfassungsgericht keine Gesetze. Wir bitten dies zu entschuldigen.