Oskar Lafontaine Frech wie Oskar

Wer glaubte, der Freund französischer Lebensart werde sich einem beschaulichen Landleben hingeben, irrte. Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine macht seinem Ruf als Provokateur wieder alle Ehre.

Kurz vor seinem 60. Geburtstag am Dienstag macht der ehemalige SPD-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine seinem Ruf als Provokateur wieder alle Ehre. Sein Vorschlag, die ostdeutschen Landesverbände sollten mit der PDS fusionieren und dann als linke Schwesterpartei der West-SPD mehr Eigenständigkeit demonstrieren, sorgte am Wochenende für erheblichen Wirbel. Zwar schütteten vor allem seine eigenen Parteifreunde Hohn und Spott über den Saarländer, doch bis hinauf zum Generalsekretär Olaf Scholz ließ seinen Vorschlag kaum jemand unkommentiert.

"Wahlkampf mache ich mit links": Lafontaine lässt keinen Zweifel daran, dass er es mit 60 Jahren noch einmal wissen will. Im Januar hatte es in der saarländischen SPD noch eine lebhafte Diskussion darüber gegeben, ob der ehemalige Ministerpräsident auf dem Neujahrsempfang der Saarbrücker Sozialdemokraten sprechen dürfe. Nun gilt der von Gegnern vorschnell als "bekanntester Pensionär Deutschlands" bespöttelte Vollblut-Politiker bei einigen sogar schon wieder als möglicher Spitzenkandidat und Herausforderer von CDU-Ministerpräsident Peter Müller bei der Landtagswahl in einem Jahr.

"Raffiniertes System der Provokation"

Spätestens dann müsste auch Bundeskanzler Gerhard Schröder wieder mit seinem Vorgänger als Parteichef rechnen, der nicht einmal ein Jahr nach dem grandiosen Bundestagswahlsieg von 1998 verbittert den Bettel hingeworfen hatte. Seitdem haben sich die beiden nicht mehr getroffen. Dass Lafontaine auf Rache sinnt, bestreiten seine Freunde nicht. Ein Wegbegleiter, der ihn seit Jahrzehnten beobachtet, bescheinigte ihm schon sehr früh, er habe ein raffiniertes System der Provokation entwickelt. Kein Wunder, dass ihm Kanzler-Gattin Doris sogar den Austritt aus der SPD nahe legte, nachdem er Parallelen zwischen der Sparpolitik von Schröder und Reichskanzler Heinrich Brüning gezogen hatte, die zu Massenarbeitslosigkeit geführt und Hitler den Weg bereitet hatte.

Einen ähnlichen Aufschrei hatte Lafontaine am Beginn seiner Karriere ausgelöst, als er sich über die "Sekundärtugenden" des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt ausließ, sich später aber entschuldigte. Nach den Vorstellungen seiner Mutter hätte das "Rundum-Talent", wie ihn SPD-Vizefraktionschef Ludwig Stiegler nannte, Pfarrer werden sollen. Immerhin wuchs er zeitweise in einem bischöflichen Konvikt auf, wo er nach eigenem Bekunden manchmal ein richtiger Deiwel" war und lernte, sich in der Gruppe durchzusetzen".

Deutschlands jüngster hauptamtlicher Oberbürgermeister

Während des Studiums wurde er vom ebenfalls bischöflichen Cusanus-Werk unterstützt. Schon mit 27 Jahren war der Diplom-Physiker Landtagsabgeordneter und sechs Jahre später in Saarbrücken Deutschlands jüngster hauptamtlicher Oberbürgermeister. 1985 führte er die SPD an der Saar aus der Opposition zur absoluten Mehrheit, die er zwei Mal verteidigte.

Als Kanzlerkandidat scheiterte Lafontaine, noch geschwächt vom beinahe tödlichen Messer-Attentat einer psychisch gestörten Frau, im ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990 gegen Einheitskanzler Helmut Kohl. Schlug er damals das Angebot auf den Parteivorsitz noch aus, stürzte er 1995 auf dem Mannheimer Parteitag mit einer flammenden Rede Rudolf Scharping und übernahm den Chefposten. Bei der Bundestagswahl 1998 ließ er Schröder den Vortritt und begnügte sich mit dem Finanzministerium. Nachdem sich Lafontaine zunehmend hintergangen fühlte und die Auseinandersetzungen um seine Forderung nach stabilen Wechselkursen eskalierten, schmiss der für ein englisches Massenblatt damals "gefährlichste Mann Europas" entnervt die Brocken hin.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Kolumne für Millionenpublikum

Wer jedoch glaubte, nun werde sich der Freund französischer Lebensart einem beschaulichen Landleben mit Frau Christa und Sohn Carl-Maurice hingeben, irrte. Mit Vortragsreisen, Talkshows, zwei Büchern und zahlreichen Zeitungsbeiträgen mischte sich Lafontaine weiter ein. Ausgerechnet in der "Bild"-Zeitung liest er regelmäßig der Bundesregierung die Leviten. Der Zorn vieler Parteifreunde darüber prallt aber an ihm ab: Sollte er die Chance verstreichen lassen, die am weitesten links gerichteten Kommentare der deutschen Medienszene unter ein Millionenpublikum zu bringen?, hält er seinen Kritikern entgegen.

Auch bei der PDS stieß er mit seinem Vorstoß vom Wochenende einer neuen Ostpartei aus ihr und den Sozialdemokraten auf Ablehnung und Skepsis. Bei dem Geburtstagsempfang, zu dem die Saar-SPD wieder ins Saarbrücker Rathaus eingeladen hat, kann er mit kompetenten Gesprächspartnern noch einmal darüber reden: Auf seinen Wunsch wurden neben alten Weggefährten und vielen Kulturschaffenden auch Ex-PDS-Chef Gregor Gysi und der CSU-Außenseiter Peter Gauweiler eingeladen. "Wenn die Partei lieb zu mir ist, werde ich auch lieb zu der Partei sein", hatte Lafontaine einmal scherzhaft bemerkt. Anders als im Bund scheint an der Saar die gegenseitige Liebe wieder in Takt.

DPA
Michael Kuderna