Von Syrien ins Ländle Ryyan Alshebl floh 2015 vor dem Krieg in Syrien – nun wird er Bürgermeister in Ostelsheim

Ryyan Alshebl sitzt in Ostelsheim auf einer Bank
Ryyan Alshebl bedankte sich nach seiner Wahl zum Bürgermeister bei den Wählerinnen und Wählern: "Sie haben gestern Geschichte geschrieben!"
© Christoph Schmidt / DPA
Ryyan Alshebl bezeichnet sich selbst als Deutschen mit syrischen Wurzeln. 2015 kam er als Geflüchteter ins Land, lernte innerhalb von kürzester Zeit perfekt Deutsch und wird nun Bürgermeister in Ostelsheim. Sein Herzensthema: Die Verwaltung digitalisieren.

"Meine Wurzeln sind zwar in Syrien, meine Heimat und meine Zukunft liegen aber in Deutschland", sagt Ryyan Alshebl. Alshebl tritt im Juni sein Amt als Bürgermeister von Ostelsheim an, einer Gemeinde mit 2500 Einwohnerinnen und Einwohnern in Baden-Württemberg. In den vergangenen Wochen war er im Wahlkampfmodus, besuchte lokale Unternehmen, Vereine und Gruppen wie die "Stricklieselgruppe" im Evangelischen Gemeindehaus: "Um selbst zu stricken fehlen mir leider die notwendigen Fertigkeiten und die entsprechende Begabung. Deswegen habe ich die Damen beim Stricken mit Wahlkampfgerede unterhalten", schreibt Alshebl humorig auf Instagram. Die vielen Kontakte haben sich ausgezahlt.

Dabei ist er erst seit acht Jahren in Deutschland. 2015 hat er wie Millionen andere Syrien verlassen, um dem Kriegsdienst zu entgehen. Auf seiner Homepage beschreibt er ein Dilemma, das er mit gerade 21 Jahren gerne nicht gehabt hätte: sich "gezwungenermaßen zu Gunsten einer Kriegspartei im Krieg verheizen zu lassen, oder das Land verlassen und mich einem ungewissen Schicksal hingeben". Alshebl entschied sich für letzteres.

2015 kam Ryyan Alshebl nach Baden-Württemberg

Aufgewachsen ist Ryyan Alshebl in as-Suwaida, rund 100 Kilometer von der syrischen Hauptstadt Damaskus entfernt. Bei seinen Eltern, einer Gymnasiallehrerin und einem Agraringeneur, seien politische und gesellschaftliche Themen immer wichtig gewesen, schreibt er auf Instagram. Auch deshalb habe er sich um das Amt des Bürgermeisters in Ostelsheim beworben. Nach dem Abitur studierte er bis 2015 Finanzwissenschaft und Bankbetriebslehre. Dann kam die Flucht.

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2015 war der damalige Höhepunkt der Fluchtbewegung. Rund 890.000 Asyl-Suchende kamen nach Deutschland, die meisten aus Syrien. Auch Alshebl hat sich über das Mittelmeer auf den Weg gemacht, war mehrere Wochen unterwegs: "Plötzlich wacht man auf der kalten, dunklen Flucht auf und realisiert: Alles, was selbstverständlich war, ist nicht mehr da!", schreibt er in seiner Vorstellung. Allein gefühlt habe er sich plötzlich, bis er in Baden-Württemberg landete. Dort soll er schnell Pläne für die Zeit danach geschmiedet haben, wollte Verantwortung übernehmen: "In einer Gemeinschaftsunterkunft, in der der Anspruch nicht über ein Bett, ein Dach und ein paar Lebensmittel hinausgehen darf, für die man aber selbstverständlich sehr dankbar ist, kann man nur eines tun: Schnell wieder auf die Beine zu kommen, und zu beginnen, rasch in die eigene Zukunft zu investieren."

Der neue Bürgermeister will die Verwaltung in Ostelsheim digitalisieren

Der Bürgermeister in spe lernte schnell die deutsche Sprache. Sein Studium aus Syrien konnte er nicht fortsetzen, dafür eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten beginnen. In diesem Bereich habe sich seine "Leidenschaft für Politik und Rechtsstaatlichkeit erfüllt". Insgesamt sieben Jahre arbeitete er im Rathaus Althengstett im Kreis Calw in der Verwaltung, bis sein Chef sein Talent erkennt. Der soll ihn zur Kandidatur in Ostelsheim ermutigt haben. Alshebl ist zwar Mitglied der Grünen, trat bei der Bürgermeisterwahl aber als parteiloser Kandidat an – er wolle frei von parteipolitischen Rahmenbedingungen arbeiten, begründet Alshebl seine Entscheidung.

Kurz vor der Auszählung begleitet ihn der SWR. Alshebl sei aufgeregt, fühle sich wie kurz vor der Abschlussprüfung, sagt er. Dann bekommt er das Ergebnis gegen 19 Uhr am Sonntagabend: 55,41 Prozent der Stimmen gleich im ersten Wahldurchgang. Die Wahlbeteiligung war hoch, seine Freude groß: "Ostelsheim hat heute ein Zeichen der Toleranz und der Weltoffenheit für ganz Deutschland gesetzt." Cem Özdemir gratulierte via Instagram bereits zum Wahlsieg.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Ab Juni wird Ryyan Alshebl die Gelegenheit haben, sich den Themen zu widmen, die ihm wichtig sind: sozialer Zusammenhalt, Wirtschaftsförderung und die Digitalisierung der Verwaltung. Wie sein Bürgermeister-Kollege Boris Palmer in Tübingen möchte er Ostelsheim klimaneutral machen, will vor allem in erneuerbare Energien investieren. Der sagt im Gespräch mit den "Stuttgarter Nachrichten" übrigens über Alshebl: "Er ist sehr schwäbisch und schaffig."

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