Paul Kirchhof Ein Revolutionär in der Falle

Vorgezogene Schultern, bohrender Blick: Paul Kirchhof, der designierte Finanzminister der Union, dozierte vor Mittelständlern in Halle über sein Steuerkonzept. Der Kampf mit dem politischen Gegner hat dem Professor schon hörbar zugesetzt. Eine Beobachtung.

"Der Mensch wird zum Käufer, wenn ein Kind kommt", sagt Paul Kirchhof und gönnt sich ein kurzes Lächeln, weil ihn sein Publikum fragend anschaut. "Und das merken Sie erst bei der Babynahrung, nach fünf Jahren beim Fahrrad, nach 20 Jahren beim Auto und nach 30 Jahren beim Haus." Ob jeder Familienvater genau diese Konsumwünsche seines Nachwuchses befriedigen kann, ist für Kirchhof irrelevant. Ihm, dem Wissenschaftler, geht es um Grundsätzliches, um einen klaren, unwiderlegbaren Gedanken. Und der heißt in diesem Fall: Kinder zwingen ihre Eltern zum Geldausgeben und kurbeln den Konsum an. Also bitte, liebe Studentinnen: Gebären Sie für den Aufschwung!

Das würde Kirchhof so natürlich nie - oder vielleicht: nicht mehr - sagen. Er spricht lieber etwas unentschieden von seinen Doktorandinnen, deren Fähigkeiten er schätze, und die er gerne im Job sehen würde. Aber sie sollten auch nicht sagen müssen: "Ich wollte ein Kind oder zwei, aber ich hatte nicht die Gelegenheit". Deshalb wolle die CDU die Rahmenbedingungen für Familien verbessern. Ein paar Sätze später bricht Kirchhof seine Ausführungen abrupt ab. Er weiß zu genau, dass er sich auf vermintem Terrain bewegt. Noch eine Äußerung, die Frauen in Richtung Küche und Kinder schubst, und er müsste um seine politischen Kopf bangen.

Hat das Publikum verstanden?

Kirchhof zieht beim Reden die Schultern nach vorne, sein Hals ragt vogelartig über das Rednerpult hinweg. Er spricht langsam, akzentuiert, seine Gestik scheint die Größe seiner Gedanken ausmalen zu wollen. Aber der eingeschliffene Ausdruck jahrelangen Dozierens ist nicht frei von Unsicherheit. Immer wieder bohrt sich sein Blick ins Auditorium. Har es wirklich verstanden, was er sagt? Begreift es die Komplexität des Sachverhalts? Ist angekommen, was er unter Steuergerechtigkeit versteht?

"Es darf auf keinen Fall passieren, dass diese Wahl entschieden wird von dem falsch informierten Wähler", sagt Kirchhof. Er fühlt sich bedrängt von den Medien, die ihm knappe Statements abverlangen, und noch mehr vom politischen Gegner, der aus seinen Visionen Giftpillen für den Wahlkampf dreht. Kein Wunder, dass er auch hier, vor den mittelständischen Unternehmern in Halle, nicht seine vieldiskutierte Streichliste auspackt. Er hätte sofort die Lobbyisten am Hals, die ihm jeden gestrichenen Cent als Kapitalverbrechen auslegen würden. Sparen, das sollen bekanntlich immer die anderen.

Die 2/3-Formel

Also redet Kirchhof lieber von der großen Vereinfachung des Steuersystems, ein Thema, zu dem jeder freundlich nicken kann. Der Bund solle künftig nicht mehr 36 verschiedene, sondern nur noch vier Steuern erheben: die Einkommenssteuer, die Umsatzsteuer, eine Steuer auf Erbschaft und Schenkungen, sowie eine Verbrauchssteuer auf Tabak, Energie und ähnliches. Letzteres entspräche zwar nicht einer stringenten Steuersystematik, sei aber zur Finanzierung des Bundeshaushaltes unerlässlich. "Das sage ich ihnen ganz ehrlich."

Das jetzige CDU-Programm decke sich, so Kirchhof, zu zwei Dritteln mit seinem Ideal. Mehrfach differenziert er in seiner Rede zwischen diesen beiden Punkten: seinem Ideal, wahlweise auch "meine private Meinung" genannt, und dem offiziellen Wahlprogramm. Kirchhof hat offenbar bereits einen Vorgeschmack darauf bekommen, was es heißt, sich mit mächtigen Landesfürsten und Parteipolitikern auseinandersetzen zu müssen. Die Steuerpolitik ist das zentrale Steuerungsinstrument und beim Geld hört die Freundschaft auf (sollte sie jemals existiert haben). Also heißt es auch hier, vorsichtig zu sein.

Paul Kirchhof ist Finanzexperte, Verfassungsrichter, Professor, parteilos. Er ist nicht im Stahlbad der Parteien groß geworden, das jeden, der überleben will, zwingt, seine Vorstellungen nach Machtgesichtspunkten zu restrukturieren. Er ist ein Visionär, ein gedanklicher Bruch im Steuerfall Deutschland, ein familienpolitischer Neo-Con. Doch diese Rolle des konservativen Revolutionärs kann er schon jetzt nicht mehr ganz durchhalten. Wie kann sich Paul Kirchhof behaupten? Und wie lange gibt ihm die CDU noch Gelegenheit dazu?