Neue Partei Sahra Wagenknecht konnte nicht anders (sagt Sahra Wagenknecht)

Sahra Wagenknecht in der Bundespressekonferenz
Sahra Wagenknecht: "Es ist an der Zeit, Konsequenzen zu ziehen"
© John MACDOUGALL / AFP
Die Totengräberin der Linken, ich? Sahra Wagenknecht will mit der Misere ihrer Ex-Partei nichts zu tun haben. Ihr neues Projekt stellt sie als schiere Notwendigkeit dar.

Sahra Wagenknecht macht sich Sorgen. Um das Land, die Leute, ja, sogar um die Linkspartei. "Ich habe nach Möglichkeit versucht, einen anderen Kurs in der Linken zu verankern", beteuert sie. Damit sei sie gescheitert. "Es ist an der Zeit, Konsequenzen zu ziehen."

Na also, na endlich. Wagenknecht ist raus. Sie verlässt die Linke und will eine neue Partei ins Leben rufen – im Grunde genommen ist das schon lange bekannt, nur öffentlich ausgesprochen hat sie es bislang nicht. Insofern markiert ihr Auftritt vor der versammelten Hauptstadtpresse am Montagmorgen in Berlin auch das offizielle Ende einer langen Hängepartie, vielleicht sogar der quälendste Parteiaustritt der bundesdeutschen Geschichte.

Die Trennung war lange absehbar. Sehr lange. Immer wieder lag Wagenknecht mit der Parteiführung über Kreuz. Nachdem sie die Verantwortung für die Bundestagsfraktion, die sie von 2015 bis 2019 mitführte, aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hatte, verlegte sich auf die Rolle der kritischen Kommentatorin. Schoss gegen den Parteikurs, wahlweise in der Sozial-, Klima- oder Migrationspolitik. Oder wetterte gegen "Lifestyle"-Linke und ihren vermeintlichen Klima- und Gender-Irrsinn.

Allein: Bereits 2018 argwöhnten manche, dass Wagenknecht mit ihrer Sammlungsbewegung "Aufstehen" ihr eigenes Ding machen wolle. Dieses Jahr wurde es dann bedrohlich konkret für die Linkspartei. Nach anhaltenden Spekulationen, die Wagenknecht selbst befeuert hatte, beschloss die Parteispitze im Juni deshalb: "Die Zukunft der Linken ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht."

Das ist nun auch vonseiten Wagenknechts verbrieft. Am Montag legt sie ihre Pläne in der Bundespressekonferenz dar. Wagenknecht hat vier Mitstreiter dabei, darunter ihre enge Vertraute Amira Mohamed Ali. Die Noch-Fraktionsvorsitzende der Linkspartei (ja, wirklich) sitzt dem Verein "Bündnis Sahra Wagenknecht" vor, der die neue Partei bis Anfang 2024 auf den Weg bringen soll. Während Mohamed Ali berichtet, warum der Schritt unausweichlich gewesen sei – die irrlichternde Linke! –, scannt Wagenknecht die Reihen mit den Journalisten. Sie lächelt zufrieden, ihr Blick offenbart eine gewisse Genugtuung.

Die Linkspartei wollte ihren links-konservativen Kurs partout nicht mitgehen: links in der Sozialpolitik, aber rechts in der Gesellschaftspolitik. Nun steht ihre Ex-Partei am Abgrund, nahe des Bedeutungsverlusts. Ihren Fraktionsstatus im Bundestag wird sie spätestens verlieren, wenn Wagenknecht und Konsorten die neue Partei aus der Taufe gehoben hat. Selbst schuld, lautet offenbar Wagenknechts Analyse.

Linke am Abgrund: Da kann man nichts machen

Dass sie einen gewissen Anteil an der Misere der Linkspartei haben könnte, sieht Wagenknecht nicht. Sie bedauere es sehr, "dass wir in diese Situation gekommen sind", sagt sie. Die Linke habe "keinen politischen Zuspruch" mehr, so sei nun mal die Lage. Mit der Debatte um die neue Partei habe das aber nichts zu tun, da solle man Ursache und Wirkung nicht verwechseln, sagt Wagenknecht: Erst als es mit der Linkspartei bergab ging, sei "von anderen" über eine neue Partei nachgedacht worden.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Es klingt beinahe so, als hätte Sahra Wagenknecht mit dem "Bündnis Sahra Wagenknecht" eigentlich nichts zu tun.

Die Namenspatin räumt zwar eine starke Konzentration auf ihre Figur ein, will dies aber als Übergangslösung verstanden wissen: Verein und Partei müssten sich erstmal etablieren, immerhin wolle man schon kommendes Jahr bei den EU- und Landtagswahlen in Ostdeutschland antreten. Vulgo: Mit dem Namen Wagenknecht auf den Wahlzetteln könnte das Vorhaben deutlich erfolgsversprechender sein.

stern-Chefreporterin analysiert: Welche Positionen könnte Sahra Wagenknechts neue Partei vertreten?
Miriam Hollstein – Chefreporterin vom Hauptstadtbüro des stern – analysiert, welche Inhalte die neue Partei vertreten und welche Gefahren für den BSW lauern könnten. 
Welche Positionen vertritt Sahra Wagenknechts neue Partei? stern-Chefreporterin Miriam Hollstein klärt auf

Einen wesentlichen Faktor stellen aber auch die Finanzen dar. Es braucht Spenden, um die künftige Partei und ihre Strukturen zu finanzieren – der Verein wurde auch zu diesem Zweck gegründet. Immer wieder werben Wagenknecht und ihre Mitstreiter um Unterstützung, verlesen vor der versammelten Hauptstadtpresse sogar die Spendenadresse im Netz. "Die einzig richtige Webseite, wo Sie Informationen zum Verein finden", schickt Schatzmeister und Kassenwart Ralph Suikat zur Sicherheit hinterher. Später ergänzt Wagenknecht, dass es "dringend" die Unterstützung all jener Menschen brauche, die sich die Partei wünschten.

Wer könnte das sein, wohin soll’s politisch gehen?

"So wie es derzeit läuft, kann es nicht weitergehen", sagt Wagenknecht in einem Ton, der gleichzeitig Sorge um Land und Leute, aber auch Kritik an der "wohl schlechtesten Regierung" in der Geschichte der Bundesrepublik vermitteln soll. Sie wirbt für eine "neue Wirtschaftspolitik der Vernunft" und den "Erhalt" wirtschaftlicher Stärken. Das sei "unser erstes und wichtigstes Ziel", sagt Wagenknecht. Nicht zu den vorrangigen Zielen der neuen Partei gehört hingegen "blinder, planloser Öko-Aktivismus". Der würde das Leben der Menschen nur verteuern und dem Klima überhaupt nicht nutzen.

Wagenknecht hält den alleinigen Fokus auf erneuerbare Energien für einen schwerwiegenden Fehler, will daher auch auf Pipeline-Gas setzen, um die Preise zu senken. Dass es von einem russischen Kriegsherrn kommen würde, schert sie dabei offenbar wenig. Wagenknecht will Frieden schaffen ohne Waffen, wirbt für eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg, die Nato-Militärallianz stellt sie offen infrage. Dafür wurde sie scharf kritisiert. Nun beklagt Wagenknecht einen angeblichen Konformitätsdruck, einen "neuen politischen Autoritarismus" im Land, der Menschen erziehen oder ihre Sprache reglementieren wolle. Sie versteht sich offenkundig selbst als Opfer der angeblichen Sprach- und Meinungswächter.

Protestwahl ohne schmutzige Hände

Es ist der Sound des Populismus, der einfachen Antworten auf komplexe Sachverhalte, der nicht zuletzt die AfD stark gemacht hat – und von dem sich wohl auch Wagenknecht Zulauf für ihr neues Projekt verspricht. Als sie auf von einem Journalisten auf eine mögliche Zusammenarbeit mit der extremen Rechten angesprochen wird, grinst Wagenknecht: Sie hat die Frage erwartet. Selbstverständlich werde man keine gemeinsame Sache mit der AfD machen, sagt sie. Man wolle eine "seriöse Adresse" sein für all jene, die aus Wut und Verzweiflung an die politischen Ränder gewandert sind. Protest wählen zu können, ohne sich die Hände schmutzig zu machen: Das dürfte Wagenknechts Kalkül sein.

Allerdings besteht die Gefahr, dass politische Knallköpfe das Projekt zu kapern versuchen. Man wolle "kontrolliert wachsen", sagt Christian Leye, der die Linke ebenfalls verlässt und zum Vorstand des Wagenknecht-Vereins gehört. "Glücksritter, Karrieristen und Menschen mit gewissen politischen Ansichten" sollen die neue Partei nicht unterlaufen, darauf werde man ein Auge haben. Auch Wagenknecht betont den Anspruch, "dass nicht die falschen Leute kommen". Wie das verhindert werden soll, sagen sie nicht. Enttäuschte Wählerinnen und Wähler – sei es nun von den Grünen oder der CSU –  würde man aber grundsätzlich willkommen heißen.

Ob sie der Linken nun den letzten Sargnagel verpasst hat? "Die Linke ist nicht unser politischer Gegner", sagt Wagenknecht. Die Partei werde sich "jetzt eigenständig" aufstellen. "Da kann man ihr Erfolg wünschen". Man? Ob sie es selbst tut, sagt sie nicht.