Schlag 12 - der Mittagskommentar aus Berlin Her mit der Vorratsdatenspeicherung!

Immer wieder muss sich der SPD-Chef in seiner Partei mit "Bürgerrechtlern" streiten. Dabei gibt es für die Genossen kein besseres Thema: Einen schwachen Staat können sich nur Starke leisten.

Sigmar Gabriel ist wirklich nicht zu beneiden. Der SPD-Chef muss nicht nur eine Partei führen, die langsam irre wird an der ewigen Kanzlerin Angela Merkel - er muss auch Genossinnen wie eine gewisse Dorothea Marx ertragen. Die Dame ist Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag und als solche ganz "entsetzt" über ihren Vorsitzenden. Sie findet es "wirklich unfassbar", dass Gabriel für die Vorratsdatenspeicherung votiert - und dies damit begründet, dass die Erfassung der ohnehin bei Telefonunternehmen gespeicherten Daten einen Teil der NSU-Morde möglicherweise verhindert hätte.

Hohn und Spott wird jetzt im Netz über Gabriel ausgekübelt - aber darauf muss man nicht viel geben. Was soll man schließlich halten von Leuten, die bereitwillig ihr halbes Leben auf Facebook und Twitter ausstellen, die im Internet Schuhe kaufen und Reisen buchen - und gleichzeitig aufheulen, wenn der Staat, nur mit Zustimmung eines Richters und nur bei Verdacht auf schwerste Straftaten wohlgemerkt, gerne Zugriff hätte auf ein paar Handy-Nummern, die sie in den letzten Wochen angerufen haben?

Schluss mit der Heuchlerei!

Deutschland ist schon ein merkwürdiges Land. Brennt in Tröglitz ein geplantes Heim für Asylbewerber, rufen alle nach der starken Obrigkeit, die nun mit der "ganzen Härte des Rechtsstaates" die Täter aufspüren und aburteilen soll. Bestellt sich ein Bundestagsabgeordneter im Internet kinderpornografisches Material, wie es Gabriels ehemaliger Fraktionskollege Sebastian Edathy gemacht hat, finden es alle völlig in Ordnung, dass genau untersucht wird, welche Adressen der Mann im Netz denn sonst noch so kontaktiert hat. Aber wenn es um die Vorratsdatenspeicherung geht, also den Versuch, das kommunikative Muster von Tätern oder Tatverdächtigen aufzuhellen, also Kontaktleute, Hintermänner, Zulieferer - dann bricht ein Sturm der Entrüstung los, als stünden wir an der Schwelle zur Überwachungsdiktatur. Umgekehrt hat aber keiner ein Problem damit, dass Telefon- und Internetverbindungsdaten, die im Ausland abgefangen werden, wo es eine Vorratsdatenspeicherung schon längst gibt, in deutschen Strafverfahren als Beweismittel eingesetzt werden.

Nach den Anschlägen von Paris rannten auch hier alle mit "Je suis Charlie"-Schildern herum und warfen sich todesmutig in die Bresche für die "Wehrhaftigkeit der Demokratie". Aber immer, wenn es darum geht, die Bedingungen für ebenjene Wehrhaftigkeit zu schaffen, melden sich selbst ernannte "Bürgerrechtler" zu Wort: Unsere Freiheit sei bedroht, totale Sicherheit ohnehin eine Illusion, und das zur jeweils zur Debatte stehende Instrument - ob Vorratsdatenspeicherung oder Videoüberwachung - hätte die Taten ja nicht verhindert.

Sicherheit bedroht nicht unsere Freiheit

All das ist serieller Unsinn. Zu den vornehmsten Bürgerrechten gehört Sicherheit, zum Beispiel die Sicherheit, nicht von einem Islamisten in die Luft gesprengt zu werden. Sicherheit bedroht nicht unsere Freiheit, sondern ist vielmehr deren Bedingung. Dass es totale Sicherheit nicht geben kann, ist eine Binse an der Grenze zur Dämlichkeit. Auch der Anschnallgurt im Auto garantiert nicht "totale Sicherheit", reduziert aber die Wahrscheinlichkeit, bei einem Unfall zu sterben und ist deshalb sinnvoll. Und, dass Taten nicht verhindert werden konnten, ändert nichts daran, dass man bereits geschehene gerne aufklären würde, schon allein, um die Täter von weiteren abzuhalten. Die nächtliche Video-Aufnahme einer Überwachungskamera am Asylbewerberheim in Tröglitz hätte man jetzt schon ganz gerne, oder?

Sigmar Gabriel ist Sozialdemokrat, er sollte jetzt die Auseinandersetzung suchen mit den "Bürgerrechtlern" in seiner Partei, von denen es ohnehin nicht allzu viele gibt. Denn Sicherheit ist eigentlich ein ursozialdemokratisches Thema, es ist ein Gerechtigkeitsthema wie nur wenige. Wer Geld genug hat, kann sich Sicherheit notfalls kaufen. Wer keins hat, ist angewiesen auf eine funktionierende Polizei, auf effiziente Ermittlungsbehörden mit Zugriff auf die neueste Technik. Nur die Starken können sich einen schwachen Staat leisten.

Tilman Gerwien fand es schon immer rätselhaft, dass "Bürgerrechtler" in der SPD das große Wort führen. Denn eine Partei, die für soziale Sicherheit kämpft, müsste nach seiner Meinung auch für Sicherheit vor Verbrechen und Terror kämpfen.