Eigentlich sollte dies ein Beitrag von Verlierern sein. Geschrieben aus dem Willy-Brandt-Haus in Berlin, der Parteizentrale der SPD. Über eine Partei, die nach sieben Jahren endgültig über ihre eigenen Reformen gestolpert ist. Eine Partei, die den Umfragen zufolge höchstens noch als Juniorpartner einer großen Koalition weiterregieren hätte können. Wenn alles gut gegangen wäre.
Doch nichts ist gut gegangen an diesem Abend. Im Gegenteil, schlechter hätte es eigentlich kaum laufen können: Sekunden nach 18 Uhr flimmert die Prognose über die Bildschirme und die Wahlforscher haben für die Sozialdemokraten gerade einmal 33 Prozent errechnet. Das sind mehr als fünf Prozent weniger als 2002. Und selbst wenn noch ein paar Pünktchen hintern Komma dazu kämen, es wäre das zweitschlechteste Ergebnis der Partei seit 1949. Die Wahl war verloren, das war klar, deutlich verloren sogar, Schröder als Bundeskanzler bald Geschichte.
Von der Fassungslosigkeit zum Jubelrausch
Doch nur Sekunden später verwandeln die Genossen ihr Hauptquartier in ein Tollhaus. Laut ZDF-Prognose kommt die CDU gerade einmal auf 37 Prozent, und auch wenn die FDP vollkommen überraschend über zehn Prozent springt, die schwarz-gelbe Koalition ist damit vom Tisch. Die SPD hat verloren und fühlt sich trotzdem als Gewinner. Die anfängliche Anspannung weicht einem Jubelrausch, das Geklacker der Steine, die den Sozialdemokraten in diesem Augenblick von den Herzen fallen, sind vermutlich noch in der CDU-Zentrale fünf Kilometer weiter zu hören.
"Ist das nicht ein wunderschöner Tag" sagt ein junger Genosse, der mit einem Honigkuchenpferd-Grinsen einem Parteikollegen in den Arm fällt. Der Geherzte sagt nichts, sondern lässt ihn lieber von seinem Bier trinken. Nebenan sagt jemand lauthals lachend: "Verhindert das Merkel"! Das ist eigentlich die Losung der "Titanic"-Spaß-Partei "Die Partei". Auch egal, in der unerwartet guten Laune sagt halt jeder was ihm passt. Auch Schröder wird das später tun, und Müntefering und einige andere.
Jubel, Ovationen und Gejohle
In etwa so: Wir fühlen uns bestätigt, die Deutschen wollen die Merkel als Kanzlerin nicht. So sagt es der SPD-Chef, dessen Einzug ins Foyer des Willy-Brandt-Hauses von seinen Parteifreunden bejubelt wird wie ein Heilsbringer. Nur Schröder soll später mit noch stehenderen Ovationen und noch lauterem Gejohle begrüßt werden.
Die beiden sagen auch, dass sie weiterhin das Land zu führen gedenken - unter welcher Konstellation auch immer. Und natürlich, dass der Gerhard Regierungschef bleiben wird. Wie das gehen soll ist schleierhaft, das ahnt die Basis natürlich. Nicht wenige sprechen von großer Koalition, andere von der Ampel, Rot-Gelb-Grün. Unmöglich ist das alles nicht, nicht einmal, dass die SPD selbst in einer großen Koalition den Kanzler stellt. Nur eben auch extrem unwahrscheinlich. Doch das jetzt gerade egal, so was sagt man eben, wenn man sich im Siegesrausch wähnt. Welcher Fan eines Neu-Zweitligisten spricht schließlich nicht von der Champions League? Einige Minister, Manfred Stolpe etwa oder Peter Struck, sind da schon nüchterner und winden sich auf Journalistenfragen einfach mit Floskeln raus. Ihre Schadenfreude aber können auch sie nicht verbergen.