Von Wolfgang Röhl
Soweit ich weiß, habe ich keine Kinder. Jedenfalls schwärmt mir niemand von den süßen Jungs von Tokio Hotel vor oder leiert mir Geld für unförmige Klamotten und stumpfsinniges Rapgebrabbel aus dem Kreuz. Ich muss auch nicht über den Stand idiotischer Vorabendserien à jour sein. Darüber bin ich nicht traurig. Mein Interesse an den Angelegenheiten kleiner Menschen hält sich in Grenzen.
Nie, nicht eine Minute lang, wollte ich selbst Kinder haben. Und nicht eine Minute habe ich das bereut. Nein, es würde mir mitnichten Spaß machen, mit Kindern lustige Spiele zu spielen oder ihnen aus "Der kleine Prinz" vorzulesen. Ich mag auch nicht recht glauben, dass es mich innerlich bereichern würde, die Welt durch die Augen einer Vierjährigen zu betrachten. Sind-so-kleine-Hände, nein danke. Bettina Wegner und Herman van Veen haben bei mir Hausverbot.
Weshalb ich das schreibe? Gute Frage. Ob einer Kinder hat oder nicht, sollte seine Privatsache sein. Ist sie aber nicht. In den Worthülsenfabriken der Politik, den intellektuellen Legebatterien der Unis und den Debattenkulturstübchen der Gazetten haben sie das Fass mit dem Kindermangel aufgemacht, der unserer angeblich moribunden Egoistengesellschaft den Fangstoß zu versetzen droht. Aus dem Fass sprudelt ein bräunlicher Raum-ohne-Volk-Cocktail aus Schreckensszenarien, Blut-und-Boden-Geraune und wüstem Gekeif gegen reproduktionsunwillige Volksschädlinge wie mich.
Den 7. Familienbericht
... der Bundesregierung können Sie unter diesem Link downloaden:
stern.de/media
Kinderlose stehen auf der Shit-Liste der Erzeugergemeinschaft traditionell ganz oben. Aber seit eine Familienministerin durch den deutschen Blätterwald stolziert, als würden noch Mutterkreuze vergeben, seither scheinen sich die Ressentiments noch verstärkt zu haben. Kinderlose, schallt es vom Familienstammtisch, sollen zahlen, bis die Schwarte kracht! Man schlägt vor, ihre Renten zu halbieren oder sie bei der Jobvergabe gegenüber Eltern zu diskriminieren. Kindermacher, vorrücken an die deutsche Arbeitsfront! Auf den Dreh hätte auch der Volksgemeinschaftsführer Robert Ley ("Kraft durch Freude") kommen können. Die Firmen werden sich freuen.
Haustiere dürfen nicht wählen
Die bizarrste Tirade kam von einem so genannten Ökonomen, der findet, Kinderlose hätten nie in die Rentenversicherung aufgenommen werden dürfen. Oh, wie gern wäre ich der ferngeblieben! Hätte ich mein dort eingezahltes Geld privat anlegen dürfen, würde ich dreimal so viel herauskriegen wie bei der Mickerrente, die mich erwartet.

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Damit sich Kinderlose gegen die Abzocker nicht wirksam wehren können, fordern vor allem CDU-Politiker ein "Familienwahlrecht" - Eltern sollen für ihre Kids stimmen. Selbstredend zugunsten von Parteien, die den Familien mehr Staatsknete zuschaufeln. Haustiere sollen aber nicht wahlberechtigt sein. Dann lägen ja die Kinderlosen vorn.
Populistischen Stuss zu verzapfen ist das Brotgeschäft der Volksparteien. Mit Klientenpuscheln gewinnt man Wahlen, und Familien stellen die größte Klientel. Schaurig aber, wenn Leute den Untergang Germaniens an die Wand malen, denen man einen Rest an Verstand zutraute. Da hat der "FAZ"-Schöngeist Frank Schirrmacher ein etwas schwiemeliges Büchlein verfertigt, das dem "Spiegel"-Kulturchef Matthias Matussek unheimlich gut gefällt, weil es darin von Werteverfall und kinderloser Gesellschaft und Liebesverlust und dem ganzen neukonservativen Bohei nur so rauscht. Prompt stimmen die Triumphatoren des Zeugungswillens (jeweils ein Kind) eine Jeremiade über die angebliche "Atomisierung der Gesellschaft" an. Schuld sei der Umstand, dass es hierzulande an Frauen mangele, welche - "Spiegel"-O-Ton aus dem Jahre des Herrn 2006 - "die Gabe der Selbstlosigkeit und Aufopferungsfähigkeit" aufwiesen. Dieses Gartenläubchen wird alsdann zur mollgestimmten Titelgeschichte "Jeder für sich" aufgeblasen, mit einem muckschen Bübchen als Coverboy. Der Besinnungsaufsatz singt das Hohelied des archaischen Clanwesens, da doch - wieder O-Ton - "das Stammhirn sagt: Blut ist dicker als Wasser" und "Rette deine eigenen Leute" (konnte man in Ruanda und anderswo immer mal wieder beobachten). Einzig der versippte Mensch sei in der Lage, Krisenzeiten zu überstehen, wollen uns die beiden Wertepfleger (bekannt als Heroen der häuslichen Harmonie) suggerieren. Wer nach Lektüre ihrer völkischen Wuchsvorlage nicht die nächstbeste Gebärfähige bespringt, dem gehören die nutzlosen Klöten gekappt.
Zeugen für die Arbeitslosigkeit
Das Schöne am schaumigen Feuilleton-Trash ist, dass er gleich beim ersten Realitätscheck zusammenfällt. Was die Ritter von der Schwafelrunde geißeln - die böse Ellbogengesellschaft, die hundsgemeine Egokultur, die bibberkalte Entfremdung - steht ja im kruden Gegensatz zu Untersuchungen, die Deutschland im Großen und Ganzen stabile soziale Netzwerke, hohes ehrenamtliches Engagement der Bürger und reichlich Zulauf zu Vereinen und Szenen bescheinigen.
Die zweite Mär lautet, sämtliche Systeme würden kollabieren, würde nicht auf Teufel komm raus gezeugt oder zugewandert. Wo, bitte, sollen denn die Arbeitsplätze für die ersehnten Menschenscharen herkommen? Wir haben fünf Millionen Arbeitslose, dazu ein Heer von Pseudobeschäftigten. Zu einem großen Teil Menschen, deren Lohnarbeitsleistung durch die Globalisierung überflüssig wurde. Jobs, die für sie infrage kämen, wandern im Zeitraffertempo ins Ausland.
Wovon sollen diese Menschen leben, wenn nicht von den Transferleistungen anderer? Wenn ich auf dem Parkplatz eines Supermarktes stehe und beobachte, was da so aus den Familienkutschen quillt, um sich für den RTL-2-Nachmittag mit Chips und Cola einzudecken, dicke Muttis mit "halslosen Ungeheuern" wie aus dem Kinoklassiker "Die Katze auf dem heißen Blechdach", dann ahne ich: Die werden meine Rente nicht bezahlen. Eher ich deren Stütze.
Sushi geht noch
Der ewige, dumme Vorwurf lautet ja, wir, die Kindlosen, lebten auf Kosten der Kinderkrieger. Die Zeitschrift "Emma" hat das mal am Beispiel von Normalverdienern aufgedröselt. Jeder, der einen Taschenrechner zu bedienen weiß, kann mit "Emma" nachrechnen, dass Kinderlose und Singles zusätzlich zu ihren Steuern und Abgaben noch einmal fast die gleiche Summe in die Gemeinschaftstöpfe tun müssen, die Eltern für ihre Kinder bis zu deren 18. Lebensjahr ausgeben.
Für meine Frau und mich fällt die Rechnung noch ungünstiger aus. Da wir keine Kinder haben, konnten wir uns immer auf Erwerbsarbeit konzentrieren. Auf unsere überdurchschnittlichen Einkommen zahlen wir seit vielen Jahren horrende Steuern, mit denen auch Institutionen wie Kitas, Schulen, Universitäten, Jugendzentren oder Drogenberatungsstellen alimentiert werden, die wir gar nicht in Anspruch nehmen. Das bereits versteuerte Geld geben wir nicht zu knapp aus, was dem Finanzamt nochmals Steuern einbringt. Auszeiten wie Babypausen, während derer andere die Sozialbeiträge schwänzen, aber weiterhin versichert sind, nehmen wir nicht. Keiner von uns hat je staatlich subventionierten Wohnraum beansprucht. Jeder von uns zahlt einen happigen Krankenversicherungsbeitrag, obwohl wir - im Gegensatz zu so manchem Clan - nicht kohortenweise Doktorhopping betreiben. Klar, dass wir - Neidhammel aufgepasst! - ein paar Euro in Anlagen gebunkert haben. Die Zinsen werden automatisch versteuert. Wieder frisches Geld für den Staat, der es - unter anderem - an Familien verteilt. Was unterm Strich bleibt, soll uns davor bewahren, jemals in der staatlichen Hängematte zu landen. Paar Fakten gefällig? Die obere Hälfte der Steuerpflichtigen bringt 90 Prozent der Steuereinnahmen auf, während die untere Hälfte weniger als zehn Prozent beiträgt.
Bitte, es ist nicht so, dass uns angesichts des Melkens das Sushi im Hals kleben bliebe. Ein bisschen Umverteilung ist okay, sie macht das Klima entspannter. Aber dafür auch noch angegiftet zu werden von Leuten, die nicht rechnen können oder wollen - das finden wir unschön. Es müssen ja nicht gleich Blumen sein. Aber ab und zu ein gutes Wort in unsere Richtung ... oder vielleicht mal Rasen mähen ... denken Sie dran, wenn das nächste Kindergeld kommt?