Heute Abend will der umkämpfte Verein Netzwerk Recherche einen neuen Vorstand wählen. Manches spricht dafür, dass es nicht dazu kommt.
Es ist wahrscheinlich unfreiwilliger Humor, dass die von finanziellen Unregelmäßigkeiten erschütterte Journalistenvereinigung (der auch ich angehöre) ausgerechnet für den 11.11. zu einer Mitgliederversammlung einlädt und das auch noch in die Karnevalshochburg Köln. Zum selben Termin hatte der Verein schon länger zu einer Konferenz über gescheiterte Recherchen geladen, unter dem Titel „Tunnelblick“. Ja, auch sehr passend. Nachdem die jüngste reguläre Mitgliederversammlung am 1.Juli angesichts des Finanzskandals im Chaos versunken war, soll nun heute die Neuwahl des Vorstands nachgeholt werden.
Doch der amtierende Vorstand hat ein neues Problem zu verantworten: ob die Wahl eines neuen Vorstandes überhaupt geschehen kann, ist eine offene Frage. Laut Satzung ist die Mitgliederversammlung nur beschlussfähig, wenn ein Viertel der – heute über 600 Mitglieder – anwesend ist. Selbst die Versammlung im Juli, am Rande der stets gut besuchten Jahrestagung des Vereins hatte – wie man hört – nur 77 Teilnehmer.
Das wirft zwei Fragen auf, eine vereinsrechtliche und eine vereinspolitische. Vereinspolitisch wäre es problematisch, wenn der Eindruck entstünde, dass mitten in einer massiven Krise des Journalistenclubs eine kleine Gruppe von Teilnehmern einen neuen Vorstand wählt – einen neuen Vorstand, dem noch dazu womöglich mehrere Mitglieder des alten Vorstands angehören, deren Rolle in der Finanzaffäre noch aufzuklären ist.
Der alte Vorstand hat die Schuld an den Unregelmäßigkeiten bisher weitgehend beim bisherigen Vorsitzenden Thomas Leif abgeladen. Das ist einerseits berechtigt, weil Leif selbst den restlichen Vorstand jahrelang offenkundig nur spärlich über den Finanzstatus des Vereins informierte. Seriöse gemeinnützige Vereine, die das deutsche Spendensiegel tragen, müssen jedes Jahr ihre Rechnungslegung publik machen. Im Netzwerk bekam jahrelang nicht einmal der Vorstand diese Zahlen in schriftlicher Form ausgehändigt. Ähnlich wie sonst nur in klandestinen Ausschüssen wie dem Geheimdienstkontrollgremium des Bundestages wurden zwar gelegentlich Papiere verteilt – aber am Ende der Sitzung wieder eingesammelt.
Doch warum hatten sich – andererseits - Leifs Vorstandskollegen das über Jahre gefallen lassen? Und stimmt es wirklich, dass die Unregelmäßigkeiten erst jetzt im Mai auftauchten, als der Vorstand über die geplante Gründung einer Stiftung beriet? Oder war es vielleicht so, dass ein oder vielleicht zwei Vorstandsmitglieder schon länger auf mehr Transparenz drängten – aber dafür zunächst keine Unterstützung bei ihren Kollegen fanden?
Diese Fragen muss der Verein heute Abend zuallererst klären. Und dann gibt es das vereinsrechtliche Problem, das der alte Vorstand geschaffen hat – und das eine Neuwahl des Vorstands verunmöglichen könnte. Denn was ist, wenn weniger als ein Viertel der Mitglieder in Köln dabei sind? Die Satzung des Netzwerks sieht zwar vor, dass „unmittelbar“ nach einer beschlussunfähigen Mitgliederversammlung eine neue Versammlung auch in kleinerer Runde einen neuen Vorstand wählen kann.
Doch der alte Netzwerk-Vorstand hat die Mitglieder offenkundig nicht hinreichend über diese Möglichkeit informiert. Dafür hätte er in seiner Einladung vom 24. Oktober ausdrücklich eine so genannte Eventualeinladung für eine zweite, kleinere Versammlung am selben Abend aussprechen müssen – was er nicht getan hat. Dass das notwendig gewesen wäre, ergibt eine einfache Internetrecherche. Und Vereinsrechtler bestätigen dies.

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Glaubt man den Rechtsexperten, dann gibt es folgendes Risiko: Sollte es so sein, dass die Vereinsversammlung nicht beschlussfähig ist und dennoch ein neuer Vorstand gewählt wird, dann könnte jedes Mitglied mit einfachem Brief an das Vereinsregister auf das Satzungsproblem hinweisen. Das das Vereinsregister führende Amtsgericht – hier das in Wiesbaden – muss dann entscheiden, ob die Wahl ordnungsgemäß stattgefunden hat. Es kann entscheiden, die Neuwahl nicht einzutragen. Und es kann den Verein auffordern, die Wahl zu wiederholen.
Sicher ist eins: Nach all den Unregelmäßigkeiten wäre es fatal, wenn auch nur der Eindruck entstünde, dass der neue Vorstand an der Satzung vorbei gewählt wird. Dass die alte Vereinsführung dieses Risiko nicht beachtet zu haben scheint, kann man erstaunlich finden. Das gilt selbst dann, wenn man zu Gunsten der Vorständler annimmt, dass sie nicht absichtlich so gehandelt haben - sondern nur aus Unachtsamkeit.
Was heißt das für diesen Abend des 11.11. in der Karnevalshochburg Köln? Erstens: Es darf ganz bestimmt mit Kamellen geworfen werden. Zweitens: Für die Neuwahl von Prinz, Prinzessin oder Dreigestirnen ist es vielleicht noch zu früh. Sonst hat am Ende nicht nur der Wahlsieger die Pappnase auf.