Nach stern.de-Informationen haben unbekannte Täter in der Nacht zum Freitag den Tatort geschändet, an dem seit Tagen mit Kerzen und Blumen an den Überfall auf den 37-jährigen Potsdamer Ermyas M. erinnert wird. Der Blumen- und Lichterteppich wurde offensichtlich durch Fußtritte zerstört und auseinander gerissen. Passanten hatten die Verwüstung gegen vier Uhr morgens entdeckt und die Polizei alarmiert. Mittlerweile wurden Gedenkkerzen und -blumen wieder hergerichtet.
Seit Ostermontag haben Potsdamer dort Mahnwache gehalten. Vor einem mit Fotos und Bildern beklebten Trafo-Kasten brennen Tag und Nacht Kerzen, fast ständig stehen dort Menschen und denken an den schwerverletzten Potsdamer.
Ermyas M. schwebt noch immer in Lebensgefahr
Unterdessen werden nach der Festnahme von zwei Tatverdächtigen die Ermittlungen fortgesetzt. Vom Ergebnis machen es die Behörden abhängig, ob die 29 und 30 Jahre alten Deutschen dann nach Karlsruhe gebracht und dort dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes vorgeführt werden. Die beiden Männer stehen im Verdacht, am vergangenen Sonntagmorgen ihr 37 Jahre altes Opfer brutal zusammengeschlagen und lebensgefährlich verletzt zu haben. Der Mann schwebt noch immer in Lebensgefahr.
Die Bundesanwaltschaft erklärte, dass "keine erhebliche Verdachtsmomente dafür vorliegen, dass die Täter die Tat aus Ausländerhass und auf der Grundlage einer rechtsextremistischen Gesinnung begangen haben." Der Deutsch-Äthiopier hatte ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten. "Die Täter ließen erst von ihrem Opfer ab, als dieses reglos mit stark blutenden Kopfverletzungen am Boden lag", teilte die Bundesanwaltschaft mit.
Solidaritätsbekundung geplant
Der Generalbundesanwalt Kay Nehm hat das Verfahren wegen der Gefahr für die innere Sicherheit an sich gezogen. "Die außerordentliche Brutalität der Vorgehensweise und der überregionale Fanalcharakter dieser Tat begründen die besondere Bedeutung des Falles", heißt es in der Mitteilung.
Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) hat für diesen Freitagabend zu einer Großkundgebung für den zweifachen Familienvater aufgerufen. Unter dem Motto "Potsdam bekennt Farbe" soll gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt sowie für Demokratie und Toleranz demonstriert werden. "Ich rechne mit mehreren tausend Teilnehmern", sagte Jakobs. Trotz der Festnahme sei es wichtig, deutliche Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt zu setzen.
"Piepsi" aus der rechten Szene
Man wisse von dem 29 Jahre alten Mann, dass er der rechten Szene angehöre, berichtete die "Bild"-Zeitung ohne Nennung von Quellen. Der Verdächtige sei Bodybuilder und solle häufig als Türsteher gearbeitet haben. Er sei der Polizei wegen Drogendelikten und Waffenhandels bekannt. Er habe eine ungewöhnlich hohe Stimme. Freunde des Mannes hätten der Polizei gesagt, der 29-Jährige werde wegen seiner Stimme "Piepsi" genannt, berichtete das Blatt weiter. Auch auf der Handymailbox ist eine hohe Stimme zu hören. Das Opfer, ein Deutscher afrikanischer Abstammung, hatte seine Frau vor den lebensgefährlichen Schlägen angerufen. Die auf der Mailbox aufgezeichneten Stimmen der Täter, die den Deutschen unter anderem als "Nigger" beschimpften, hatte die Polizei veröffentlicht. Das Blatt berichtete weiter, zusammen mit dem zweiten Verdächtigen, einem 30-Jährigen, solle der 29-Jährige bei einem Autovermieter in der Potsdamer Innenstadt gearbeitet haben.

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Sondereinsatzkommando nahm Verdächtigen auf offener Straße fest
Zur Fahndung nach den Tätern war in Potsdam eine 25-köpfige Sonderermittlungsgruppe eingesetzt worden. Die Belohnung für Hinweise auf die Täter war am Mittwoch auf 15.000 Euro erhöht worden. Die Sprecherin der Bundesanwaltschaft, Frauke-Katrin Scheuten, sagte, der erste Tatverdächtige sei am Donnerstag zwischen 17.00 und 18.00 festgenommen worden, sein mutmaßlicher Komplize gegen 19.30 Uhr. Zu Einzelheiten der Festnahmen wollte sie keine Angaben machen. Sie äußerte sich auch nicht zu der Frage, ob die aufgezeichneten Stimmen der mutmaßlichen Täter die Polizei auf die Spur der Männer geführt haben.
Nach einem Augenzeugenbericht wurde einer der Verdächtigen im Süden Potsdams nahe der Autobahn 115 festgenommen. An einer Kreuzung wurde demnach die Ampel auf Rot geschaltet. Quer gestellte Wagen blockierten den Verkehr. Dann hätten Polizisten mit schwarzen Sturmhauben einen Mann und eine Frau festgenommen.
Merkel verurteilt rechte Gewalt
Bundeskanzlerin Merkel sagte in Berlin, sie würde sich sehr freuen, wenn die Schuldigen schnell zur Rechenschaft gezogen würden. Damit solle deutlich werden, dass Fremdenfeindlichkeit und rechtsradikale Gewalt in Deutschland absolut verurteilt würden.
Schäuble warnt vor Vorurteilen
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble wollte sich trotz der fremdenfeindlichen Beschimpfungen bei dem Überfall nicht auf einen rassistischen Hintergrund festlegen. "Wir wissen die Motive nicht, wir kennen die Täter nicht. Wir sollten ein wenig vorsichtig sein", sagte Schäuble dem Deutschlandradio Kultur. Die Stimmen der Täter und deren rassistische Äußerungen konnten aufgezeichnet werden, da das Opfer gerade seiner Frau eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen wollte.
Für Rechtsextremismus in Ostdeutschland machte Schäuble die Abschottung in der DDR verantwortlich. Der CDU-Politiker forderte, weder Ausländer noch Deutsche dürften in der Bundesrepublik diskriminiert werden. "Es werden auch blonde blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten, zum Teil sogar von Tätern, die möglicherweise nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das ist auch nicht besser."
Politischer Streit am Motiv entbrannt
SPD-Generalsekretär Hubertus Heil hielt dagegen, die Tat sei mit äußerst hoher Wahrscheinlichkeit rassistisch motiviert. Juso-Chef Björn Böhning erklärte, Schäuble gieße mit seinen verharmlosenden Äußerungen Wasser auf die ideologischen Mühlen der Rechtsextremen und mache sich so zur "geistigen Schutzmacht rechtsradikaler Straftäter". Eine Diskriminierung von Blonden oder Blauäugigen sei "nicht existent, sie ist konstruiert".
Nigerianische Delegation bleibt fern
Ein Potsdamer Hotel bestätigte auf Anfrage, dass eine nigerianische Delegation ihre Buchung storniert habe. "Sie haben uns am Mittwoch angerufen und gesagt, dass sie nicht hier übernachten wollen, weil sie Angst vor rassistischen Übergriffen haben", sagte Hoteldirektorin Beate Fernengel. Die Gruppe, die derzeit an einer Tagung der Industrie- und Handelskammer in Potsdam teilnehme, sei nun in einem Berliner Hotel untergebracht. Unter den 15 Teilnehmern sei auch der Verkehrsminister Nigerias.
Unterdessen warnte Brandenburgs Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) davor, sein Bundesland nach dem Übergriff als generell fremdenfeindlich einzustufen. "So eine abscheuliche Tat schadet jedem Standort", sagte er der "Financial Times Deutschland". "Aber das ist kein Potsdam-typischer Vorfall. Er hätte auch woanders stattfinden können. So ein Extrem darf nicht zur Stigmatisierung dieser Region benutzt werden."