Sie hatte Tränen in den Augen - und hielt nach ihrer Vereidigung eine betont staatstragende Rede. Sie dankte ihrem Vorgänger Jürgen Rüttgers und seinen Ministern für die "engagierte" Arbeit. Und sagte dann, beinahe beschwörend: "Wir sind alle zuerst dem Wohle des Landes Nordrhein-Westfalen verpflichtet."
Nun: Hannelore Kraft, SPD, frisch gebackene Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen, wird noch häufiger so reden - freundlich, integrierend, werbend. Ihr fehlt im Landesparlament eine Stimme zur absoluten Mehrheit. Das bedeutet, sie muss für jedes Gesetzesvorhaben Tourneen durch die Oppositionsfraktionen veranstalten. Zu glauben, dass die Linke alles abnicken wird, hieße, deren Abgrenzungsbedürfnis sträflich zu unterschätzen.
Gewinn für die Demokratie
Es beginnt also eine Zeit des Verhandelns, des permanenten Verhandelns. Zwischen Minderheitsregierung und Abgeordneten. Das lässt sich als Gewinn der Demokratie deuten, denn das Parlament übt damit wieder seine ureigenste Funktion aus: Es kontrolliert die Gesetzgebung.
Gelingt Kraft das schwierige Zusammenspiel mit den Oppositionsfraktionen, würde sie die politische Blaupause dafür liefern, wie sich künftig in einem Fünf-Parteiensystem regieren ließe - auch ohne eigene Mehrheit. Deswegen werden die Berliner Parteispitzen das Düsseldorfer Treiben sehr genau beobachten. Misslingt das Experiment, nähme Rot-Grün großen Schaden. Kraft wäre eine "lame duck" und der politische Stillstand würde die Zustimmungsraten für ihre Partei sinken lassen. Dann würden Kraft und Sylvia Löhrmann, die Vize-Ministerpräsidentin von den Grünen, zu Opfern ihrer eigenen Courage. Sie müssten Neuwahlen fürchten.
Indes: FDP, Union und Linkspartei fürchten Neuwahlen schon jetzt. Und genau darin liegt Krafts Chance. Weil keiner seine Büros, seine Autos und seine Apanagen verlieren will, gibt es einen gewissen Druck zur Zusammenarbeit. Und letztlich benötigen Löhrmann und Kraft immer nur eine zusätzliche Stimme. Eine einzige.
Auftritt der "drei Tenöre"
Offiziell hat das bürgerliche Lager bereits erklärt, dass es Kraft diese eine Stimme nie und nimmer geben werde. Parallel zu Krafts Wahl im Düsseldorfer Landtag traten in Berlin - erstmals seit den Koalitionsverhandlungen - wieder die "drei Tenöre" auf, sprich: die Generalsekretäre von CSU, CDU und FDP. Ausgiebig kritisierten sie die "instabile Minderheitsregierung", "Krafts Wortbruch", das "rot-rot-grüne Experiment", den "drohenden Bildungsinfarkt" und wähnten NRW aufgrund der Haushaltspolitik gar auf dem Weg in griechische Finanzverhältnisse.
Aber das ist nur der übliche Theaterdonner. Wenn es zum Schwur kommt und Rot-Grün zum Beispiel die Finanzausstattung der Kommunen verbessern will, wird der CDU-Landtagsfraktion die Ablehnung äußerst schwer fallen. Denn eine sachlich nicht zu begründende, rein destruktive Blockadehaltung macht Politiker in den Augen der Wähler auch nicht sympathischer.
Fünf Wochen, fünf Jahre
Löhrmann hat schon vor der Wahl an diesem Mittwoch ein bemerkenswertes Statement abgegeben. Sie sagte, sie wisse nicht, ob diese Regierung fünf Monate oder fünf Jahre halte. NRW ist zum politischen Laboratorium geworden. Frisch drauflos regieren ist in dieser Konstellation unmöglich. Ab heute geht es (nur) mit halber Kraft voraus.