Kennen Sie das FDP-Parteiprogramm? Nein? Ist leicht zu merken. Am Montag fordert der FDP-Vorsitzende Westerwelle Neuwahlen, weil die Große Koalition grundsätzlich unfähig sei. Am Dienstag fordert FDP-Generalsekretär Niebel eine Steuerreform, weil er seit Jahren nichts anderes fordert. Am Mittwoch fordert der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionsvorsitzende Kubicki Neuwahlen in seinem Bundesland und im Bund, weil die SPD die Oberbürgermeisterwahl in Kiel gegen die CDU gewonnen hat. Am Donnerstag fordert die saarländische FDP Neuwahlen, weil Union und SPD je einen eigenen Kandidaten für die Wahl des Bundespräsidenten nominiert haben. Am Freitag fordert Westerwelle Neuwahlen und eine Steuerreform, weil er dies wöchentlich mindestens zweimal tut. So ungefähr läuft das bei den Liberalen.
Neues FDP-Programm
Ach ja, es gibt neuerdings noch ein FDP-Parteiprogramm, das im Mai endgültig für den Bundestagswahlkampf beschlossen werden soll. 81 DIN-A4-Seiten lang. Darin stehen programmatische Forderungen und politische Ziele, von denen der FDP-interessierte Otto Normalbürger noch nie gehört hat, manche sich allenfalls dunkel daran erinnern, dass zu Schulzeiten in Sozial- und Gemeinschaftskunde davon die Rede war. Etwa von einer Bürgerrechtspartei FDP oder so was ähnlichem. Lang, lang ist's her.
"Die Mitte stärken", steht über dem jetzt vorgestellten Programm. Klar, dass darin einmal mehr ein neues Steuerrecht gefordert wird. Aber es ist auch von mehr Bürgerfreiheiten die Rede, von mehr Datenschutz und weniger Überwachung, vom Bürgerrecht auf bessere Bildung, von mehr Geld für die Forschung, für Umweltschutz und ökologische Energiegewinnung. Alles Themen, mit denen man einer stabilen liberal-bürgerlichen Wählerschaft näher kommen könnte. Näher kommen müsste. Denn dass die 18 Prozent, mit denen die Demoskopen derzeit die FDP handeln, keine 18 Prozent FDP-Sympathisanten sind, sondern zu guten Teilen CDU-Frustrierte, liegt auf der Hand. Wenn die 18 Prozent FDP-Substanz werden sollen, muss die liberale Partei intensiver als bisher ihr inhaltliches Portfolio verkaufen.
Politik für die ganze Gesellschaft nötig
Nur wenn sie endlich mehr singt als das Steuersenkungslied, kann die FDP Alternative zur Sozialstaatspartei CDU werden, die Angela Merkel repräsentiert. Glaubwürdige Rückkehr in die Tradition als Partei der Bürgerrechte ist ebenfalls geboten. Sie muss beweisen, dass sie mit dem Herzen und Visionen Politik für die ganze Gesellschaft macht und nicht nur mit dem Taschenrechner. Mit dem Papier hat sie eine politisch-programmatische Grundlage dafür geschaffen. Dort finden auch die Interessen der Masse der Arbeitnehmer Beachtung und nicht nur die Standesinteressen kleiner Eliten. Doch wann reden die Spitzenfunktionäre dieser Partei schon mal über die liberale Sozialpolitik? Dank des Dauergeschreis nach liberaler Steuersenkung (übrigens auch jetzt wieder einmal ohne Finanzierungsplan gefordert) fehlt den Liberalen die Luft dafür.
Die politische Blässe einer Steuersenkungspartei genügt ebenso wenig wie die erneute Präsentation als Funktionspartei, die allein eine schwarz-gelbe Koalition möglich machen könnte. FDP-Chef Westerwelle saß ja jetzt bei der Rede des Präsidenten zur Lage der Nation. Die Krise sei keine Gelegenheit für Showkämpfe, mahnte der. Das FDP-Programm gibt Horst Köhler recht.
Nur lesen sollten es all jene, die ständig nach Neuwahlen rufen. Etwa FDP-General Niebel. Als er das Programm vorstellte und gefragt wurde, wie es seine Partei denn künftig mit Manager-Bezügen bei Aktiengesellschaften halte, zeigte er sich unkundig, wie das genau aussieht. Der Zuruf eines Journalisten machte ihn sachkundig: "Seite 11, unten."