Zwischenruf Der Dritte wird Erster

Angela Merkel hofiert die Grünen, Renate Künast und Fritz Kuhn vor allem. Die zentrale Figur für Schwarz-Grün aber ist Jürgen Trittin. Er müsste den linken Flügel einbinden - und könnte dabei selbst am meisten gewinnen stern Nr. 33/2007

Die Finte war billig. Manche sind dennoch darauf reingefallen. "Die Union kämpft erst einmal um eigene Mehrheiten", verkündete Angela Merkel, "im Zweifelsfall um Mehrheiten zusammen mit der FDP. Andere Optionen spielen keine Rolle." Anfang Juli war das, als Wolfgang Schäuble Bündnisse der CDU mit den Grünen ins Gespräch gebracht hatte und Roland Koch, der angehende Wahlkämpfer in Hessen, um sein schönes Feindbild barmte. Natürlich möchte die CDU-Vorsitzende Guido Westerwelle nicht vor den Kopf stoßen, dessen FDP doch die Sozialdemokraten gerade so liebreizend den Hof machen. Natürlich würde die Union mit den Liberalen zusammengehen, wenn es denn nach der Wahl 2009 für eine Mehrheit reicht. Und natürlich entstaubt man bei der Union die Stahlhelme für einen Lagerwahlkampf mit der FDP, um den schönen Aufschwung gegen "rot-rot-grünes Chaos" zu verteidigen. Aber ebenso natürlich muss man sich für den Fall präparieren, dass es eben nicht hinkommt mit den Liberalen, was heute als einigermaßen wahrscheinlich gilt, und eine "andere Option" zu ziehen wäre.

Daher bemüht man sich beizeiten und in Wahrheit ziemlich heftig um die Grünen. Niemand mehr als die Kanzlerin, die für die superrealen Fraktionschefs Renate Künast und Fritz Kuhn jederzeit zu sprechen ist. Anruf genügt. Und umgehend hat man sie am Telefon oder zwei, drei Terminvorschläge für ein halb- oder dreiviertelstündiges Tête-à-Tête im Kanzleramt - morgen oder übermorgen schon. Mit dem Speck befriedigter Eitelkeit fängt man auch grüne Mäuse. Die sind jedenfalls satt von den üppigen Gunstbeweisen. Denn es sind mehr, als Westerwelle zuteil werden, den Ihrognaden sicher am Haken glaubt. Kürzlich wurde sogar einer im Kanzleramt vorgelassen, den die Schwarzen aus altem ideologischem Widerwillen eher auf Distanz halten. Jürgen Trittin, der grüne Fraktionsvize, durfte Merkel von einer Reise nach Afghanistan berichten. Man beschnuppert auch ihn, aber man erkennt ihn wohl noch nicht in seiner ganzen Bedeutung.

Tritt in ist in Wahrheit der entscheidende Mann, wenn es ums Schmieden einer Koalition geht. Künast und Kuhn sind schwarz-grün geneigt, sie zu umschmeicheln bringt keinen rechten Fortschritt. Will Merkel mit den Grünen paktieren, braucht sie den Dritten, der in dieser Hinsicht der Erste ist: den Linken Trittin, um die zaudernde grüne Basis zu gewinnen, den starken linken Flügel programmatisch wie personell zu integrieren - und eine innere Spaltung des Partners mit unkalkulierbaren Folgen zu verhindern. Trittin kommt bei den Grünen, mit Macht. Der ehemalige Umweltminister hat seine Karriere keineswegs hinter sich. Gut möglich, dass er im Herbst 2008 nach der Bayern-Wahl neben Künast in eine Doppelspitze für den nachfolgenden Bundestagswahlkampf aufrückt. Und dann noch weiter. Grundsätzlicher Widerstand gegen ein Bündnis mit der Union ist von ihm nicht mehr zu erwarten. Der Stratege, bündnispolitisch kühl bis ins Blut, hat sogar schon mal eine Allianz mit der CSU in Bayern vorgeschlagen – Günther Beckstein mit Claudia Roth, eine Mordsgaudi. Berliner Koalitionsfragen beantwortet er ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Machtrendite. Für seine Partei - und sich.

Trittin wäre zwingender Kandidat für das Amt des Aussenministers. Endlich könnte er aus dem Schatten Joschka Fischers heraustreten

Einer Jamaika-Koalition der Union mit FDP und Grünen kann er nichts abgewinnen. Die Grünen liefen darin Gefahr, von Schwarz und Gelb zermalmt zu werden. Und: Sie hätten nur Aussicht auf zwei Ministerämter. Viel Ärger also, der sich nicht mal auszahlt. Dann schon lieber eine Ampelkoalition unter Führung der SPD, da wären die Grünen mit der FDP mindestens auf Augenhöhe, wenn nicht sogar Darling der Sozialdemokraten. Schwarz-Grün ohne Liberale - das hingegen ließe Trittins Augen funkeln. Arithmetisch ist das sogar wahrscheinlicher als Schwarz-Gelb, denn die Grünen haben nach den aktuellen Umfragen Aussicht, stärker aus der Wahl hervorzugehen als die Liberalen - und dann könnte es knapp für eine Zweierkoalition reichen.

Eine Regierung mit vier Ministerämtern für die Grünen: Außenminister und Vizekanzler, Finanz- oder Wirtschaftsminister, Umweltminister (als Garant für Klimapolitik und Fortsetzung des Atomausstiegs) und vielleicht Innen- oder Justizminister. Fette politische Beute. Für Jürgen Trittin selbst eine prickelnde Verlockung. Denn er wäre der zwingende Kandidat für das Amt des Außenministers. Das lernt er nämlich gerade, als Außen- und Europapolitiker der grünen Bundestagsfraktion. Endlich könnte er aus dem Schatten Joschka Fischers treten. Der hat als Außenminister Rot-Grün geschmiedet, er stünde auf Augenhöhe für Schwarz-Grün. Historisch wäre auch das.

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Hans-Ulrich Jörges