Wäre aus Händereiben Energie zu gewinnen, könnte Deutschland dieser Tage ein Kernkraftwerk vom Netz nehmen. Die Häme ist enorm, und die Scherze sind enorm geschmacklos. "Wenn das Möllemann gewusst hätte - er hätte den Fallschirm nicht abgeworfen": So oder so ähnlich feiert die (all-)gemeine Schadenfreude über die Ermittlungen gegen Michel Friedman ihre schäbigen Triumphe. Richtig ist daran nur ein einziger Aspekt: Der Selbstmörder Jürgen Möllemann und der offenkundig unfassbar risikoblinde Michel Friedman müssen zusammen gedacht werden. Warum haben sich ihre Schicksale eine historische Sekunde lang so existenziell verschlungen, dass der eine in den Freitod flüchtete und der andere am Pranger einer revanchegierigen Öffentlichkeit steht?
Es gibt auf diese Frage eine Vielzahl von individualpsychologischen Antworten - ich möchte nur die politische betrachten. Zugespitzt lautet meine These: Der eine, Jürgen Möllemann, war als Botschafter und Einflussagent der arabischen Welt, der andere, Michel Friedman, als Diplomat und Propagandist Israels unterwegs. Die archaische Gewalt, mit der Israelis und Palästinenser im Nahen Osten um Dominanz und Respekt kämpfen, sie hat sich in der Konfrontation dieser beiden unerbittlichen Männer auch in Deutschland entladen.
Noch nicht die innere Souveränität
In einem Land mithin, das den ins historische Gedächtnis gebrannten Mord an den europäischen Juden zu verantworten hat. Und das deshalb auch heute noch nicht die innere Souveränität, die demokratische Kultur und die kluge Differenzierungsfähigkeit gefunden hat, um in einer Debatte von solch emotionaler Wucht zwischen dem Morden-und-Gegenmorden im fernen Nahen Osten und dem Wir-ewigen-Antisemiten aus der nahen fernen Geschichte zu unterscheiden. Beide haben das auf ihre Weise erkannt - und es für sich taktisch zu nutzen versucht. Es wurde beiden zum Verhängnis.
Friedman braucht eine reife Nation, die ihn auffängt und trägt
Möllemann, der Botschafter und kommerzielle Profiteur Arabiens, war zunächst politisch erfolgreich, als er die Unterstützung seiner Partei gewann, um die Liberalen auf einen unabhängigen und damit Israel-kritischen Kurs zu lotsen. Im Schlagabtausch mit Friedman mobilisierte er, persönlich gewiss kein Antisemit, das Letzte, um den Gegner niederzuwerfen: die schlummernde Judenfeindlichkeit. "Ich fürchte, dass kaum jemand den Antisemiten, die es in Deutschland leider gibt, ? mehr Zulauf verschafft als Herr Sharon und in Deutschland als Herr Friedman mit seiner untoleranten, gehässigen Art" - dieser hartleibig verteidigte Satz war eiskalt kalkulierte Grenzüberschreitung. Er spielte die alte, schreckliche Melodie, mit der Antisemiten auf Rattenfang gehen: Die Juden sind selbst schuld am Antisemitismus.

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Nur noch gewissenlos
Den deutschen Juden Friedman und Israels Regierungschef in der entscheidenden Phase des Wahlkampfs 2002 auf einem Steckbrief-ähnlichen Denunziationsblatt gemeinsam antijüdischem Ressentiment auszuliefern - das war nur noch gewissenlos. Und den entsetzt von der Fahne gegangenen Guido Westerwelle nach dessen Israel-Reise im Sommer 2002 als Opfer einer angeblichen Erpressung des Geheimdienstes Mossad zu denunzieren, das war nur noch blindwütig verzweifelt. Es machte Möllemann endgültig unmöglich - und nahm ihm die letzte Luft zum Leben.
Friedman hakte bei dem Satz über die Juden, die selbst den Antisemitismus schürten, ein - und ließ nicht mehr los. Seine medial gestützte Gegenkampagne überrollte Möllemann am Ende. Und überdeckte einen eigenen schweren Fehler. Er hatte im Bündnis mit Paul Spiegel, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, ein Erbstück abgeräumt, das Ignatz Bubis hinterlassen hatte: Spiegels Vorgänger legte stets höchsten Wert darauf, die deutschen Juden als eigenständige und von Israel unabhängige Größe zu positionieren, um ihnen Deutschland zur bleibenden Heimat zu machen - und die Juden den Nichtjuden zu selbstverständlichen Mitbürgern.
Friedman und in seinem Windschatten Spiegel machten indes die Sache der israelischen Regierung zu der ihren; emotional getrieben durch die Welle palästinensischer Selbstmord-Attentate. Nun braucht Friedman selbst nichts mehr als das, was er leichtfertig zur Disposition stellte: angesichts der eigenen Not eine zumindest mehrheitlich reife und gelassene Nation, die ihn als deutschen Juden auffängt und trägt, falls er sein Amt im Zentralrat verliert. Das ist Friedmans Tragik - und benennt die Pflicht der Gesellschaft. Möllemann ist Menetekel genug.