Man kann den Fall durch zwei verschiedene Brillen betrachten: die des politischen Pragmatismus und die der politischen Moral. Greifen wir zunächst zur viel getragenen, naturgemäß etwas schäbigen Alltagsbrille, dem Berliner Kassenmodell sozusagen. Da erkennen wir einen Außenminister, der schon im Wahlkampf die beifallumrauschten Reden seines Kanzlers wider jede deutsche Beteiligung an einem Irak-Feldzug der Amerikaner, selbst im Falle eines UN-Mandats, für halsbrecherisch hielt. Und die Formel vom "deutschen Weg" für grundverkehrt. Der aber Gerhard Schröders Wahlfang-Pazifismus getreu, wenn auch matt, unterstützte. Und am "deutschen Weg" nur milde Korrekturen anbrachte. Denn damals zählte einzig und allein der Sieg.
Reparaturarbeiten, still zunächst, dann immer unverblümter: lächelte in Washington, bog der neuen Führung der Grünen das Kreuz und wagte es schließlich sogar, Zustimmung zu einem Irakkrieg öffentlich zu denken. Ein Meisterstück pragmatischer Politik.
Ein machiavellistisches Bubenstück
Setzen wir indes die - aus der Mode gekommene - Hornbrille politischer Moral auf, so erkennen wir ein machiavellistisches Bubenstück - des rot-grünen Wahlbetrugs zweiten Teil. Denn die Deutschen sind nun bei einem Irakkrieg exakt so dabei, wie es die Amerikaner immer wollten: Sie bieten der Vormacht Überflug- und Transitrechte wie auch die Nutzung ihrer deutschen Stützpunkte, sichern diese Basen mit 2000 Bundeswehrsoldaten, beteiligen sich an den für die Zielfindung der Luftwaffe unverzichtbaren Awacs-Flügen an der türkisch-irakischen Grenze, liefern Israel Luftabwehrraketen und lassen ihre Spürpanzer zum Schutz gegen irakische Massenvernichtungswaffen in Kuwait. Unterhalb des Einsatzes deutscher Kampfverbände im Irak ist mithin alles sanktioniert. Auf solche Truppen hatten es die USA indes nie abgesehen; die Briten sollen ihre Partner sein.
Jener Joschka Fischer hatte aber auch während der wildesten Tage des Wahlkampfs das Denken nicht abgeschaltet. Also war ihm klar, dass er es sein würde, der danach mit dem Katzenjammer einer Regierung zu tun haben würde, die sich international ins Abseits manövriert hatte - am 1. Januar aber für zwei Jahre in den Weltsicherheitsrat einrücken und dort am 1. Februar auch noch für vier kriegsentscheidende Wochen den Vorsitz übernehmen würde. Widersetzlichkeit gegen das amerikanische Imperium an der Spitze der UN? Traumtänzerei! Also begann Fischer mit seinen Der "deutsche Weg" - er verliert sich im Niemandsland von Opportunismus und Täuschung. "Ich habe nicht vor, meine Politik zu ändern", schwor der Kanzler zu Weihnachten. Da hatte er es längst getan: Denn demütig schwieg seine Regierung dazu, dass sie - als künftige Vorsitzende des Weltsicherheitsrats! - nur eine gekürzte Fassung des irakischen Waffenberichts erhielt. Und urplötzlich übernahm sein Außenminister die amerikanische Position, wonach die UN-Resolution 1441, die den Waffeninspektoren den Weg ebnete, schon das Mandat für einen Angriff enthalte.
"Der deutsche Weg verliert sich im Niemandsland der Täuschung"
Das Ja zum Krieg
Der Ruf nach einer neuen Resolution, eben noch vom grünen Parteitag zur Bedingung für jede Unterstützung erklärt, war nun "eine Debatte von gestern". Artig vollzog die grüne Parteiführung diese erste Volte nach. Ihr folgte mit der Öffnung des deutschen Votums im Sicherheitsrat die zweite. Und die dritte ist schon vorgedacht: das Ja zum Krieg. Spitzfindigkeit soll den Betrug verhüllen: Aber Kampftruppen stellen wir nicht!

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So weit darf Grundsatztreue doch auch nicht gehen, dass man mit Russen oder Chinesen gegen Amerikaner und Briten die Hand hebt. Am Ende glaubt ein grüner Parteitag noch, er müsste das Votum im Sicherheitsrat vorgeben - und dann zerbricht die Koalition! Erst kommt die Macht, nach der Moral suchen wir später. Vielleicht liefern die ja noch die Amerikaner!
So weit der Blick durch beide Brillen. Nicht übersehen dürfen wir dabei freilich die besonderen Interessen jenes Mannes, der noch mehr als der Kanzler im Mittelpunkt steht: Joschka Fischer. Schon verbreiten seine Interpreten, man wolle im Weltsicherheitsrat "prononciert" Europa vertreten. Da wird an einer Karriere gebastelt: 2004 gibt Romano Prodi die Präsidentschaft der EU-Kommission ab. Und im Verfassungskonvent der EU berät man über einen Präsidenten des Europäischen Rats - beides womöglich in Personalunion. Welche Perspektive für Fischer! Aber nur, wenn er sich in New York elegant durchmanövriert. Ein deutscher Außenseiter hat keine Chance. Auch die Amerikaner müssen ihn lieben.