Presseschau "Das muss man alles nicht verstehen": So ordnen Deutschlands Zeitungen die Europawahl ein

Friedrich Merz nach der Europawahl
Für Manche ist Friedrich Merz der geheime Gewinner der Europawahl. Seine CDU holte souverän den Sieg.
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Die Europawahl war ein Schlag ins Kontor für die Ampelparteien. Für die konservativen Kräfte und die, die am Rand stehen, war sie ein Grund zu Freude. So kommentiert die Presse die Ergebnisse.

Die Ampelparteien stürzen ab, die CDU gewinnt die Europawahl, die Populisten fahren starke Ergebnisse ein: Die Europawahl sorgte am Sonntagabend für sehr unterschiedliche Gefühlslagen. Während die SPD ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten einfuhr, sehen sich Parteien wie die AfD oder das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im Aufwind. Wegweisend wird die Wahl allemal sein. Und sie war ein Stimmungstest, der Aufschluss über die noch kommenden Wahlen in diesem Jahr geben könnte. So kommentieren die Zeitungen in Deutschland die Ergebnisse der Europawahl.

"Europawahlen eher als Abstimmung über die Performance der Parteien zu Hause als über die Zukunft der EU"

"Mannheimer Morgen": "Selten fühlte sich Brüssel derart fern an wie in den zurückliegenden Wochen, in denen so etwas wie elektrisierender Wahlkampf kaum wahrzunehmen war. Die Parolen oft einsilbig wie austauschbar: für Wohlstand, gegen Hass, für Freiheit, gegen Putin. Selbst der deutschen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gelang es nicht, Europa-Begeisterung zu wecken. Sie bemühte sich auch nicht. Die CDU-Politikerin steht auf keinem Wahlzettel, da sie selbst nicht fürs Europaparlament kandidiert. Aber den wichtigsten Job in Brüssel will sie weiter haben. Das muss man alles nicht verstehen."

"Neue Osnabrücker Zeitung": "Die wichtigsten Parteien in Deutschland, die für ein Weiter-so der EU als Vorreiter bei Klimaschutz und sozialer Sicherheit stehen, die SPD und die Grünen, werden hart abgestraft. Bei den Sozialdemokraten wird die Hoffnung, mit Olaf Scholz sei bei der Bundestagswahl in anderthalb Jahren noch was zu reißen, weiter schwinden. Ein Desaster ist das Ergebnis aber auch für den grünen Vizekanzler Robert Habeck. Man kann die Trends zu mehr Nationalismus und weniger Klimaschutz, die auch in anderen Ländern durchschlagen, beklagen oder feiern. Für diejenigen freilich, die in einer starken, solidarischen und konsequent gegen die Erderwärmung kämpfenden Europäischen Union eine der größten Errungenschaften der Nachkriegszeit sehen, war der Sonntag kein guter Tag."

"Südwest Presse" (Ulm): "Europa hat gewählt, aber hat Europa wirklich ein Europaparlament gewählt? Nicht nur in Deutschland dürften viele in der Wahlkabine weniger an die Politik in Straßburg und Brüssel, sondern vielmehr an das Personal in ihren jeweiligen Hauptstädten gedacht haben. Europawahlen eher als Abstimmung über die Performance der Parteien zu Hause als über die Zukunft der EU also."

"Frankenpost" (Hof): "Die Grünen stehen völlig wie gerupft da. Autsch, autsch, autsch! Gut, sie hatten mit einem Ergebnis von 20,5 Prozent bei der vorherigen Europawahl die höchste Fallhöhe aller Ampel-Parteien. Aber, grob gesagt, fast eine Halbierung des Ergebnisses, das ist – im negativen Sinn – dann doch einfach nur: spektakulär. Sie sollten sich nun Gedanken über ihre dirigistische, teils schwer verständliche und unlogische bis widersprüchliche Klimapolitik machen. So wie es in den vergangenen Monaten und Jahren lief, funktioniert es jedenfalls nicht, die Verbraucher mitzunehmen."

"In Deutschland hatte diese Wahl zum EU-Parlament wenig mit der EU zu tun"

"Kölner Stadt-Anzeiger": "Diese Wahl kann einen nicht froh stimmen. In den nächsten fünf Jahren wird es noch schwieriger werden, die Europäische Union als Einheit gegen die globalen Herausforderungen zusammenzuhalten. Das Wahlergebnis ist insofern leider ein Votum gegen europäische Solidarität. Der nationale Stimmungstest für die Bundesregierung fällt hundsmiserabel aus. Die Klatsche für die Ampel-Parteien ist hausgemacht. Mit Abwendung reagieren die Bürgerinnen und Bürger insbesondere auf den Dauerstreit der drei Koalitionäre, auf ihren fehlenden Pragmatismus beim Lösen von Problemen und auf einen Kanzler, der zwar öffentlich präsent ist, aber den Menschen viel zu wenig Halt gibt."

Rhein-Neckar-Zeitung (Heidelberg): Dieser Wahlsonntag hat in Deutschland einen Gewinner hervorgebracht. Und der heißt Friedrich Merz. Der CDU-Chef kann sich alle Hoffnungen machen, nächster Bundeskanzler zu werden. Denn seine Union holte ungefähr so viele Stimmen wie alle drei Ampel-Parteien zusammen. Das ist ein fulminanter Sieg. Und zieht man das Abschneiden von Armin Laschet bei der letzten Bundestagswahl hinzu, fühlt sich der Sieg für Merz noch ein bisschen grandioser an.

"Nordwest-Zeitung": "In Deutschland hatte diese Wahl zum EU-Parlament wenig mit der EU zu tun. Es war eine Abstimmung über die Ampel. Die wurde wegen ihrer objektiv schlechten Politik abgestraft. Der Wähler wollte seiner unbeliebten Regierung schlicht einen mitgeben. Ein lahmer Wahlkampf tat ein Übriges. Wobei insbesondere die FDP bemerkenswert suizidal agierte: Die Präsentation der Spitzenkandidatin – Bürgerbeschimpfung inklusive – wirkte wie eine Bedrohung des Wählers. Es ist auch keine gute Idee, in Deutschland mit einer Hardcore-Bellizistin an den Start zu gehen. Und die Grünen? Die sind auf ihre Kernwählerschaft reduziert worden."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Eine Europawahl ist keine Bundestagswahl. Politiker wie Wähler messen ihr geringere Bedeutung zu, als die EU real hat. Aber eine Europawahl ist eine bundesweite Abstimmung und sagt deshalb mehr als Landtagswahlen, die sonst als Gradmesser für die aktuelle Stimmung herangezogen werden. Im deutschen Ergebnis sticht vor allem ein Befund hervor: Die Union hat sich von allen anderen politischen Kräften weit abgesetzt."

"Münchner Merkur": "Der Aufstieg von Putinversteherin Sahra Wagenknecht, der Durchmarsch der AfD im Osten trotz ihres Peinlich-Kandidaten Max Krah, der Kollaps der Ampelparteien und hier vor allem der katastrophal gescheiterte Realitätstest der in Berlin regierenden Grünen: Das Europawahlergebnis hält aus deutscher Sicht viele Botschaften bereit. Eine davon gilt der CSU: Sie kann doch noch Volkspartei mit Ergebnissen um 40 Prozent sein."

"Weser-Kurier" (Bremen): "So eindeutig die Abrechnung mit der Ampelkoalition auch ausgefallen ist: Eine Vorentscheidung für den Bundestagswahlkampf 2025 ist das nicht. Erstens liegt Amtsinhaber Olaf Scholz in allen Umfragen, in denen es um den zukünftigen Bundeskanzler geht, vor Oppositionsführer Friedrich Merz. Zweitens war vor der jüngsten Bundestagswahl zu beobachten, wie schnell sich ein Trend drehen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Ampel in den ausstehenden 15 Monaten die ständigen Streitereien ruhen lässt und sachlich die anstehenden Probleme löst."

DPA
pgo