Wahlen in Frankreich Marine Le Pen – warum sie heute nicht auf dem Wahlzettel steht, sich aber alles um sie dreht

Marine Le Pen ist ein Vorbild für Europas Extremisten. Sie hat rechtes Gedankengut salonfähig gemacht. Ihr nächstes Ziel: die Präsidentschaft. Unrealistisch ist das nicht mehr. 
Marine Le Pen bei einer Wahlveranstaltung
Marine Le Pen hat Grund zu lächeln: Umfragen zufolge wird ihre Partei die am Sonntag beginnenden Parlamentswahlen gewinnen
© Victoria Valdivia Trigo / Hans Lucas / AFP / Getty Images

Der Abend des 24. April 2022 war ein Schlüsselmoment für Marine Le Pen und ihren Weg zur Macht. Mit entschlossener Miene trat sie vor die Kameras, hinter ihr feierlich drei französische Nationalflaggen, und rief: "Die Ideen, die wir vertreten, erreichen neue Höhepunkte. Das ist ein überwältigender Sieg!"

Sie hatte an jenem Abend zwar die Stichwahl ums Präsidentenamt gegen Emmanuel Macron verloren, ziemlich eindeutig sogar, der Chef im Élysée ging mit 58 Prozent in seine zweite Amtszeit. Marine Le Pen und ihre Gefolgschaft empfanden das Ergebnis dennoch als Triumph: Die Kandidatin vom rechten Rand hatte mehr als 41 Prozent der Stimmen erhalten. Erstmals wurde sichtbar, dass sie sich tatsächlich ihren Weg zur Mehrheit bahnen könnte. In ihrer Partei, dem Rassemblement National (RN), arbeiten sie seitdem wie versessen an ihrem Plan: die Stammwählerschaft erhalten und zugleich weiter Richtung Mitte vergrößern. Niemanden abschrecken. Prozentpunkte dazugewinnen, Expertise aufbauen.

Macrons Entscheidung nach der für ihn desaströsen Europawahl vor drei Wochen, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen, hat den Rechtspopulisten nun überraschend schnell eine neue Perspektive eröffnet: Nach den Abstimmungen am 30. Juni und 7. Juli könnten sie sehr bald den Premierminister stellen – und bei den kommenden Präsidentschaftswahlen 2027 in den Élysée-Palast einziehen: "Marine Présidente" – das ist das Ziel.

Jordan Bardella – der Posterboy der Rechten

Der RN in Frankreich profitiert wie die AfD in Deutschland vom Frust auf die Regierung. Und für ihre deutschen Gesinnungsgenossen entwickeln sich die erfolgreichen rechten Frontfrauen Marine Le Pen und Giorgia Meloni in Italien zu strategischen Vorbildern: Eine Reihe aufstrebender und durchaus radikaler AfDler plädiert für eine nach außen hin softere Linie, um die Partei aus der Schmuddelecke zu holen. Rechtspopulismus in salonfähigem Gewand statt radikaler Dauerprovokation: Könnte der Erfolg des RN zur Blaupause für die AfD werden?

Erschienen in stern 27/2024