Jordan Bardella Könnte dieser 29-Jährige Marine Le Pen beerben?

Jordan Bardella
Wartet auf seinen Moment: Jordan Bardella
© Action Press
Während Marine Le Pen um ihre politische Zukunft bangt, treibt ihr Ziehsohn Jordan Bardella seine Karriere voran. Bald schon könnte er über seine Chefin hinauswachsen. 

Breitschultrig, dynamisch, zuversichtlich: Die Landwirtschaftsmesse in Vesoul am vergangenen Montag war wieder einer dieser Termine, an denen Jordan Bardella glänzen konnte. Kaum angekommen, klebte ihm auch schon ein Ei auf der Schulter – aber sowas steckt der wahlkampfgestählte Jungpolitiker inzwischen locker weg: "Das machen die doch nur, damit ich mich ausziehe!" Kurzes Gelächter, dann war das beschmierte Jackett verstaut, und Bardella stand im taillierten blütenweißen Oberhemd in der Menge. Krempelte die Manschetten hoch und legte los: Fotos für die Fans!

Bardella ist 1,88 Meter groß, sehr praktisch für Selfies. Wieder und wieder nahm er seinen Anhängern die Mobiltelefone aus der Hand und machte die Fotos mit lang ausgestrecktem Arm gleich selbst, er und sein strahlendes Lächeln stets in der Bildmitte. Praktisch außerdem: Beim Telefonhochalten kommt sein Bizeps wunderbar zur Geltung.  

Le Pen wartet auf ihr Urteil – Jordan Bardella tourt durchs Land

Für den Vorsitzenden des Rassemblement Nation (RN) könnte es gerade kaum besser laufen. Marine Le Pen droht wegen der mutmaßlichen Veruntreuung von EU-Geldern eine Sperre, mit der sie von den kommenden Präsidentschaftswahlen 2027 ausgeschlossen wäre. Doch die ungewisse Zukunft seiner Chefin scheint Jordan Bardella nicht sonderlich aufs Gemüt zu schlagen. Während sie in den vergangenen Wochen morgens im Parlament und nachmittags auf der Anklagebank saß, tourt er derzeit als Schriftsteller durchs Land. 

Selfies für alle: Jordan Bardella vom Rassemblement National besucht eine Landwirtschaftsmesse in Frankreich  
Selfies für alle: Jordan Bardella vom Rassemblement National besucht eine Landwirtschaftsmesse in Frankreich  
© AFP

Wie es sich für französische Politiker gehört, hat der 29-Jährige ein Buch veröffentlicht: "Ce que je cherche" heißt das Werk. Was man übersetzen kann mit: "Wonach ich strebe". Der Titel geht auf ein Zitat Napoleons zurück. Frankreichs berühmtester Kaiser und Feldherr soll gesagt haben, er strebe vor allem nach Größe. Weiß man also gleich, wo Bardella sich und seine Ambitionen verortet. 

Das Buch sei so steril und inhaltsleer wie sein Autor, lästerte die Tageszeitung "Libération". Gewiss – aber genau das ist Jordan Bardellas Erfolgsgeheimnis. Alles, was er sagt, klingt einfach. Dazu verströmt er, was Europas Rechtspopulisten bislang fehlt: Jugendliche Vitalität, Optimismus und Charisma. Bei Jordan Bardella schwillt nie die Halsschlagader vor Empörung. Er lächelt. Er verwendet so oft wie möglich das Possessivpronomen "unser": unsere Bauern, unser Land, unsere Grenzen, unser Stolz. Dabei guckt er treuherzig wie ein Welpe. 

Die Königin und ihr Kronprinz: Jordan Bardella und Marine Le Pen im Oktober bei einer Veranstaltung in Nizza
Die Königin und ihr Kronprinz: Jordan Bardella und Marine Le Pen im Oktober bei einer Veranstaltung in Nizza
© AFP

Vor zwei Jahren erklärte Marine Le Pen ihren loyalen Zögling aus dem Pariser Vorort Saint-Denis zum potenziellen Nachfolger. Schon damals sagte sie, sein Vorteil sei, dass ihm weder eine Vergangenheit beim Front National noch der Name "Le Pen" anhafte, beides könne für den RN eines Tages wichtig werden. Dieser Tag ist womöglich bald gekommen.

In den Umfragen überholt er seine Chefin

Das Gerichtsverfahren gegen Marine Le Pen und 24 weitere Angeklagte aus dem Umfeld des damaligen Front National endet am 27. November. Das Urteil wird Anfang des kommenden Jahres erwartet. Doch in Frankreich erinnerte der Prozess auch erneut an die vielen Skandale und Affären, die die Rechtsextremen im Laufe der Jahre angesammelt haben. All das schadet der Partei bislang zwar kaum – wirft jedoch einen unschönen Schatten auf die "Entteufelung" des RN, die Marine Le Pen so ehrgeizig vorangetrieben hat – eine Strategie, die in letzter Konsequenz auch bedeutet, dass sie eines Tages ihren Platz räumt. 

Denn noch etwas hat sich verschoben: Im jüngsten Beliebtheitsbarometer überholt Jordan Bardella erstmals seine Chefin. Bei den RN-Anhängern favorisieren ihn derzeit 59 Prozent der Befragten, Marine Le Pen steht bei 37 Prozent. In der gesamten Wählerschaft rangiert Bardella neun Prozentpunkte vor ihr.  

Nichts geschieht beim RN ohne Marine Le Pens Zustimmung. Jordan Bardella müsste keinen machtpolitischen "Mutter-Mord" betreiben. Er braucht nur dafür zu kämpfen, aus taktischen Gründen von ihr nach vorne geschoben zu werden, zum Wohle der Partei – oder falls sie als Kandidatin gesperrt wird. Eine komfortable Position. 

Fragt man Fans, die sich sein Buch vom ihm signieren lassen, wird deutlich: Jordan Bardella gilt bei ihnen nicht als rechtsextrem – sondern als "konservativer Patriot". Als einer, der sich nicht aus rein ideologischen Gründen dem RN angeschlossen hat. Sondern, weil die Partei seine Probleme am besten versteht. 

Probleme gibt es reichlich – und Jordan Bardella kennt sie alle: Islamismus, Drogenkriminalität, Jobsuche. Davon handelt sein Buch, davon handeln seine Interviews. Der 29-Jährige inszeniert sich über eine vermeintliche Street Credibility, die ihm dank seiner Mittelschichtherkunft offenbar natürlicherweise gegeben scheint. Anders als Marine Le Pen ist er nicht reich und in einem Schloss aufgewachsen. Anders als nahezu sämtliche Politiker des Landes hat er auch keinen Hochschulabschluss, wie er gern betont. Lösungen thematisiert er nicht. Aber das erwartet von ihm auch niemand. Jordan Bardella pflegt einen Stil, den seine Anhänger aus den Sozialen Netzwerke kennen: Affirmation statt Analyse.

Paradoxerweise kranken Frankreichs Rechtspopulisten derzeit am eigenen Erfolg: Ihre Inhalte stoßen auf wachsende Zustimmung, wie eine Umfrage aus "Le Monde" zeigt. Erstmals sieht die Mehrheit der Franzosen, 51 Prozent, die Partei nicht länger als eine Gefahr für die Demokratie. Auf der anderen Seite sind mit der Anzahl der RN-Abgeordneten im Parlament offenbar auch die Zweifel an deren Kompetenz gewachsen: Nur 41 Prozent der Franzosen halten die Partei für regierungsfähig; ein Rückgang um zwei Prozentpunkte.   

Im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen 2027 wird es für den RN nun darum gehen, welcher Kandidat sich als Zugpferd für die gemäßigten Wähler erweist. Und wenigstens in diesem Punkt eröffnet Jordan Bardellas schriftstellerisches Werk interessante Einblicke: Im wahren Leben war Bardella bereits in früher Jugend ein großer Fan des Front-National-Gründers Jean-Marie Le Pen – sein Buch hingegen ist eine Hommage an Frankreichs ehemaligen konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy. 

Man habe ihm sogar eine gewisse Ähnlichkeit nachgesagt, lässt Bardella seine Leser wissen. Für den RN, der sich unter Marine Le Pens Führung bisher nach der Maxime "weder links noch rechts" durchs System boxt, hat Jordan Bardella offenbar eine andere Vision: die Anbindung an das rechts-bürgerliche Lager. Als Kandidat stünde er sicher bereit:  "Wonach ich strebe" – Jordan Bardella träumt von einem Platz an der Spitze der Macht, daran lässt sein Buch keinen Zweifel. Es muss nicht sofort sein. Er ist ja noch jung.