Was die Entführung und Ermordung von Arbeitgeber-Präsident Hanns Martin Schleyer für die Deutschen, das ist der Fall Aldo Moro für die Italiener. Vor 25 Jahren, am 16. März 1978, wurde der damalige Präsident der regierenden Christdemokraten von einem Kommando der linksextremen «Roten Brigaden» entführt. Knapp zwei Monate später, am 9. Mai, wurde er ermordet aufgefunden. Die Tat ist bis heute voller Geheimnisse und Gegenstand wildester Spekulationen.
Die Terroristen lauerten am frühen Morgen in der zu trauriger Berühmtheit gelangten Via Fani in Rom der Wagenkolonne auf, die Moro ins Parlament bringen sollte. Sie stoppten die Autos, erschossen mit äußerster Kaltblütigkeit alle fünf Leibwächter Moros und verschleppten den damals einflussreichsten Politiker Italiens.
Zweifel an der linksextremen Urheberschaft
Wenige Stunden später hätte erstmals in der Geschichte des Landes eine Regierung gebildet werden sollen, die auch von den Kommunisten unterstützt wurde. Dieser Umstand nährt bis heute Zweifel an der linksextremen Urheberschaft der Tat. So wird nach wie vor heftig darüber spekuliert, warum denn eine linksextreme Organisation Moro hätte entführen sollen. Der US-Geheimdienst CIA hätte wohl weit größeres Interesse an der Eliminierung des eigenwilligen Politikers haben müssen, der selbst Regierungschef gewesen war, lautet die unbewiesene Überlegung.
Die Justiz hat den Fall Moro zwar geklärt. Alle beteiligten Terroristen wurden verurteilt. Mario Moretti war nach Ansicht des Gerichts der «Brigatista», der Moro «hinrichtete». Doch viele Fragen sind unbeantwortet geblieben. Wurde wirklich alles getan, um Moro aus der Gewalt der Entführer zu befreien? Warum lehnte die Regierung von Beginn an jede Verhandlung mit den Entführern ab? Wurden wichtige Hinweise, die zu Moros Befreiung hätten führen können, nicht ernst genommen? Warum verbreitete der Geheimdienst kurz vor der Ermordung Moros die Falschmeldung, seine Leiche sei in einem See nahe Rom gefunden worden? Wollte man damit die Reaktion der Öffentlichkeit testen? Kurzum: Wollte man Moro einfach loswerden?
Immer wieder wird daran erinnert, dass eine Gruppe um den jetzigen EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi den Ermittlern einen Tipp gab, der zur Befreiung Moros hätte führen können. In einer spiritistischen Sitzung hatte die Gruppe versucht, einen Hinweis auf den Ort zu erhalten, wo Moro festgehalten wurde. Die Ermittler waren überzeugt, dass der Politiker im Raum Rom versteckt wurde. Bei der Sitzung fiel auch der Name einer römischen Straße. Später stellte sich heraus, dass in dieser Straße einer der Entführer wohnte. Und dass die Polizei an seiner Wohnungstür klopfte. Die Beamten gingen wieder, als niemand öffnete. Eine Beschattung hätte vermutlich zur Wohnung im Außenbezirk Portuense geführt, in der Moro festgehalten wurde.
Selbst der Papst schaltete sich ein
Zwischen der Entführung und der Auffindung der Leiche Moros in der Via Caetani nahe der Piazza Venezia in Rom durchlebte Italien acht dramatische Wochen. Das ganze Land hoffte und bangte um das Leben des über Parteigrenzen hinweg respektierten Politikers - er galt als Favorit für die anstehende Wahl eines neuen Staatspräsidenten. Selbst Papst Paul VI. schaltete sich ein, flehte die Entführer förmlich an, Moro freizulassen. Paul VI. und Moro verband eine enge Freundschaft.
Moro war ein Vorzeigekatholik, besuchte jeden Morgen die Messe - auch am Tag seiner Entführung. Der zutiefst erschütterte Paul VI. zelebrierte dann auch das Begräbnis des Staatsmannes und Freundes. Nicht wenige meinen, der Schock habe den bereits stark angegriffenen Gesundheitszustand des Papstes weiter verschlimmert. Paul VI. starb drei Monate nach Moro.