Kriegsende "Hands up - henda hohk"

Als die alliierten Westmächte 1944 die Grenzen des Hitler-Reiches erreicht hatten, gab die britische Regierung eine Benimm-Fibel für die Besatzung heraus. Die Soldaten sollten bloß nicht sentimental werden, sondern distanziert bleiben.

Das kleine graue Heft im Darmstädter Stadtarchiv sieht zerlesen aus, einige Seiten haben braune Kaffeeränder. "Germany" steht in schwarzen Lettern auf dem Titelblatt. "Diese Broschüre wurde im November 1944 von der britischen Regierung für die Soldaten herausgegeben, die in Deutschland einrücken", ist auf der Innenseite des Umschlags zu lesen. Der Reiseführer verbindet auf rund 50 eng bedruckten Seiten ein Charakterbild der Deutschen mit einer Benimm-Fibel für Besatzer.

"Sie marschieren jetzt in Deutschland ein"

"Your are going into Germany" (frei übersetzt: Sie marschieren jetzt in Deutschland ein). Diesem einleitenden Satz folgt eine umfangreiche Abhandlung über das Land, von dem der Weltkrieg ausging. Die Entwicklung Preußens bis zum Aufstieg Adolf Hitlers wird skizziert, die Organisation der Nationalsozialisten, ihre Ideologie und ihre Gräueltaten. "Hitler ist ein größerer Despot als King John in England, bevor die Magna Charta vor über 700 Jahren seine Macht beschnitten hat", greifen die Autoren auf die eigene Geschichte zurück.

"Wenn Sie Deutsche treffen, werden sie wahrscheinlich denken, dass sie uns sehr ähnlich sind." Doch dieser Eindruck täusche, warnt die Broschüre: Deutsche seien autoritätsgläubig. Sie hätten sich Hitler unterworfen, weil er ihnen das Denken abgenommen habe. Und weil sie nur Befehlen gehorcht hätten, fühlten sie sich nicht verantwortlich. "Aber das deutsche Volk kann sich nicht so einfach aus der Verantwortung stehlen." Hitler habe das Minderwertigkeitsgefühl der Deutschen mit seiner Rassenlehre ins Gegenteil verkehrt und ein gnadenloses und brutales Volk erschaffen. "Je tiefer Sie in den Charakter der Deutschen eintauchen, desto mehr werden Sie erkennen, wie sehr sie sich von uns unterscheiden."

Mit dem Heft bereitete die Regierung ihre Soldaten auch auf die Lage in Deutschland vor: eine ausgehungerte Bevölkerung in zerbombten Städten - "die Rechnung für das, was sie Warschau, Rotterdam und Belgrad angetan haben". Die Soldaten sollten sich deshalb keinen sentimentalen Gefühlen hingeben, sondern distanziert bleiben. Anti-Nazi-Geschichten müssten sie mit Vorsicht genießen. "Viele Deutsche versuchen sich damit auf die Gewinnerseite zu schlagen." Gewarnt wird auch vor Frauen, die sich prostituieren, um ihr Los zu verbessern. "Seien Sie vorsichtig und bedenken Sie, dass jeder vierte Deutsche zwischen 15 und 41 Jahren eine Geschlechtskrankheit hat." Viele Frauen hofften auch auf eine Heirat mit einem englischen Soldaten. "Dies ist, wie Sie wissen, verboten."

Leberwurst und Torten mit Schlagsahne

Das deutsche Essen wird gelobt. Empfohlen werden Rotkohl mit Wiener Schnitzel, Mettwurst und Leberwurst sowie Torten mit Schlagsahne. Das deutsche Bier, unter normalen Umständen das "wohlschmeckendste der Welt, ist in Kriegszeiten noch mehr verdünnt worden als das englische". Whiskey und Gin seien selten und schlecht. Dafür gebe es jedoch jede Menge Schnaps. "The cheaper sorts are guaranteed to take the skin off one's throat" (Die billigeren Sorten ziehen einem die Haut vom Hals).

Der Reiseführer endet mit Informationen über Währung und Straßenverkehr (unbedingt rechts fahren) sowie der Übersetzung wichtiger Phrasen "hands up - henda hohk". Für faule Leser sind auf zwei Seiten die "Do's" und "Don'ts" zusammengefasst wie: "Don't go looking for trouble" (Such' keinen Ärger), "Trage die Uniform ordentlich". Deutsche achteten Uniformen. Und "Go easy on Schnaps" (Übertreibe es nicht mit dem Schnaps).

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Ingo Senft-Werner/DPA