Den 28. November 1983 wird er nie vergessen. An jenem Tag um 17.00 Uhr MEZ startete im Kennedy-Space-Center die US-Raumfähre "Columbia" zu der zwölftägigen STS-9-Mission. In der Ladeluke das Spacelab, Europas Eintrittskarte in den Weltraum, und mit an Bord als erster Bundesbürger und Westeuropäer Ulf Merbold. "Es war der Höhepunkt in meinem beruflichen Leben", sagt der heute 62 Jahre alte Stuttgarter Physiker, dessen Name mit dem Beginn der bemannten europäischen Raumfahrt verbunden bleiben wird.
Viele Raumfahrer vor ihm hatten schon ihre Ergriffenheit geschildert beim Anblick ihres Heimatplaneten Erde, dessen Leben spendende blaue Atmosphäre vom All aus gesehen so verletzlich und dünn erscheint wie der Morgentau auf einem Apfel. Für Merbold hat dieser Eindruck bis heute nichts an Intensität verloren. Wieder und wieder ist er nach seinen Eindrücken gefragt worden, und noch heute hat er Schwierigkeiten, die passenden Worte zu finden: "Diesen Anblick müsste eigentlich ein Dichter beschreiben, da verlässt mich meine Sprache."
Was Politiker im Weltraum lernen könnten
Merbold glaubt, dass auch Politiker etwas für ihre Arbeit lernen würden, wenn sie einmal die Erde "von oben" aus sehen könnten: "Das würde vielleicht ihre Neigung befördern, auch in ihrem Land mehr zu tun, um die Natur nicht zu überfordern", sagt er im AP-Interview. Doch diesen Rat hat schon in der Zeit des Kalten Krieges, aus der er stammt, niemand befolgt.
Angefangen hatte Merbolds Raumfahrtabenteuer mit einer ungewöhnlichen Anzeige, die im Spätwinter 1977 in mehreren überregionalen bundesdeutschen Tageszeitungen unter der Rubrik "Stellenangebote" erschienen war: "Wissenschaftler im Weltraumlabor gesucht", annoncierte die Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DFVLR, heute DLR). Mehr als 700 bundesdeutsche Wissenschaftler meldeten sich, unter ihnen der diplomierte und promovierte Physiker Merbold vom Max-Planck-Institut für Metallforschung in Stuttgart.
Merbold gehörte zu den Wenigen, die alle Tests bestanden und alle Voraussetzungen erfüllten. Zusammen mit dem Niederländer Wubbo Ockels wurde er schon 1978 für die Feuertaufe des Spacelab nominiert. Die allerletzte Entscheidung fiel zu seinen Gunsten.
Fünf Jahre hartes Training
Als die von Kommandant John Young geflogene "Columbia" an jenem 28. November nach einem heißen Ritt auf dem Feuerstrahl aus fünf Raketenmotoren den blauen Himmel verließ und die Atmosphäre langsam schwarz wurde, begann für Merbold eine Arbeit, für die er fünf Jahre lang hart trainiert hatte. 72 wissenschaftliche Experimente aus acht Fachdisziplinen führte er in der Schwerelosigkeit des Raumlabors durch. Noch heute äußert er sein Erstaunen darüber, dass mit emotionalen Äußerungen eher sparsam umgehende Wissenschaftler schier "aus dem Häuschen" gerieten über die Ergebnisse, die die Spacelab-Computer zur Erde übermittelten.
Nach seinem Ersteinsatz war Merbold noch zwei Mal im All. Vom 22. bis 31. Januar 1992 arbeitete der Physiker an Bord der Raumfähre "Discovery" im Internationalen Mikrogravitationslabor (IML). Am 3. Oktober 1994 startete er zur vierwöchigen ersten europäischen Mission auf der russischen Raumstation MIR, deren robuste Funktionalität er noch heute mit Hochachtung beschreibt: "Die MIR war 15 Jahre lang die einzige von Menschen erbaute Kunst-Welt im All, die auf Dauer die Besatzungen am Leben erhielt - das ist eine phänomenale Leistung der Russen." Es sei gut, dass die Russen jetzt am Bau der Internationalen Raumstation ISS beteiligt seien: "Da kann dann jede Seite ihre Stärken einbringen."
Heute ist der verheiratete Vater zweier Kinder im ESA-Zentrum für Weltraumforschung und -technologie (ESTEC) im holländischen Noordwijk verantwortlich für die wissenschaftliche Nutzung des europäischen Teils der ISS. Diese Station sei schon heute größer als die MIR und werde im Endstadium drei Mal so groß sein wie die russische Station in ihren besten Zeiten gewesen, sagt Merbold. Seine Aufgabe ist es, Industrie und Forschungseinrichtungen in den ESA-Staaten mit den Möglichkeiten der ISS vertraut zu machen.
Ohne Chance auf vierten Flug
Gerne würde er ein viertes Mal ins All, sagt der immer noch jung aussehende Hobby-Pilot, der in seiner Freizeit gerne Ski läuft und Klavier spielt. Fit genug sei er: "Ich halte die medizinische Qualifikation aufrecht, obgleich meine Chancen gleich Null sind." Es gebe ein großes Astronautenteam der ESA und nur wenige Missionen in naher Zukunft. Nach drei Flügen könne er sich da nicht vorne in die Warteschlange drängen.